Free Range Parenting: Aktueller Trend - Kindererziehung nach dem Prinzip der „Freilandhaltung“
Beim „Free Range Parenting“ sollen Kinder möglichst viel Freiraum für eigene Erfahrungen haben. Warum dieser Ansatz das Selbtbewusstsein und die Eigenständigkeit fördert.
Kassel – Wie viele Grenzen brauchen Kinder? Und wie viele davon sind eigentlich gut für sie? Diese Frage ist für viele Eltern keine leichte. Abstufungen, wie sehr die Kleinsten behütet werden, gibt es viele: von Rasenmähereltern, die immer vorpreschen und sich in jeden Konflikt einmischen, über Schneepflug-Eltern, die für ihre Kinder jedes Problem aus dem Weg räumen. Die wohl berühmteste Form von Überfürsorglichkeit bringen die sogenannten „Helikopter“-Eltern auf. Sie lassen ihr Kind aus Angst keine Sekunde aus den Augen und begleiten es auf Schritt und Tritt. Sie kreisen wie ein Hubschrauber um es herum – mit oft negativen Folgen für die Entwicklung des Kindes.
Erziehungs-Stil | Free Range Parenting |
Ziel | Eigenständigkeit der Kinder fördern |
Free Range Parenting: Kindererziehung nach dem Prinzip der „Freilandhaltung“ ist Trend
Doch es geht auch anders. Einige Eltern lassen ihren Kindern maximale Freiheit, statt ununterbrochen um es herumzukreisen. In den USA, wo der Begriff Helikopter-Eltern geprägt wurde, hat sich eine ganze Bewegung dazu formiert: die sogenannten Free-Range-Parents. Ihnen geht es bei der Erziehung vor allem um Eigenständigkeit.

Sie verfolgen den genau gegenteiligen Ansatz zu den Helikopter-Eltern. Denn sie sind davon überzeugt, dass Kinder nur durch Freiraum zu eigenständigen, selbstbewussten Persönlichkeiten heranwachsen können. Daher lassen sie ihre Kinder oft unbeaufsichtigt spielen – nach dem Prinzip der „Freilandhaltung“ sozusagen. Dafür kann es in den USA schon einmal eine Klage für Vernachlässigung geben. US-amerikanische Kinder, die alleine draußen spielen, werden sogar mancherorts von der Polizei nach Hause gebracht, wie Deutschlandfunk berichtet.
Erziehung von „Freiland-Kindern“ mit möglichst viel Freiraum für eigene Entscheidungen
Eltern in den USA sind traditionell noch viel ängstlicher als Eltern in Deutschland. Hier kommt es doch noch vor, dass Kinder alleine zum Spielplatz gehen oder draußen spielen dürfen. Was in früheren Generationen ganz normal war, ist heute also eine Elternbewegung: „Free Range Parenting“. Der Begriff erinnert bewusst und mit einer Prise Humor an Hühner aus Freilandhaltung.
Die dazugehörigen „Free Range Kids“, also Freilandkinder, sollen möglichst viel alleine spielen und so ihre eigenen Erfahrungen machen. Die Eltern, die diesen Ansatz verfolgen, vertrauen darauf, dass Kinder durchaus in der Lage sind, eigene Entscheidungen zu treffen und Situationen richtig einzuschätzen – ab einem gewissen Alter natürlich. Indem sie Herausforderungen selbst meistern, würden Selbstbewusstsein und Eigenständigkeit gefördert. Etwas, das beim ständigen „Helikoptern“ eher nicht der Fall ist.
Warum die Erfinderin der „Free Range“-Erziehung als „schlechteste Mutter der Welt“ galt
Der Ansatz geht zurück auf die New Yorker Aktivistin und Autorin Lenore Skenazy, die einst von TV-Sendern wie NBC und Fox News als „schlechteste Mutter der Welt“ bezeichnet wurde, weil sie im Jahr 2008 auf ihrer Webseite einen Artikel darüber schrieb, dass sie ihren damals neunjährigen Sohn allein hatte U-Bahn fahren lassen. Darauf folgte eine Welle der Empörung und jede Menge Kritik. Also verfasste sie das Buch „Free Range Kids“, in dem sie die heutigen Methoden der Kindererziehung hinterfragt und sich für mehr Freiraum für Kinder ausspricht – fernab von der Kontrolle durch Erwachsene.
Sie fand es besorgniserregend, dass es als nicht normal angesehen wird, Kinder ohne Aufsicht oder einen GPS-Tracker vor die Tür zu lassen, wie sie der Zeitung The Guardian erzählt. Es zeichnet sich ihrer Ansicht nach ein tiefgreifender gesellschaftlicher Wandel ab. Kinder würden immer später erst eigene Erfahrungen zu machen, bei denen kein Erwachsener dabei ist. Ihre Empfehlung lautet daher: Kinder einfach sie selbst sein lassen.
Eltern sind seit der Corona-Pandemie ängstlicher – In der Erziehung Freiraum zu gewähren, war schwierig
Während der Corona-Pandemie haben junge Menschen ohnehin schon besonders gelitten, da sie ihre sozialen Kontakte auf vielen Ebenen einschränken mussten. In der Folge haben viele noch immer mit psychischen Problemen zu kämpfen. Auch viele Eltern sind seit der Corona-Zeit ängstlicher geworden, da sie in dieser Zeit seltener von ihren Kindern getrennt waren. Das Bedürfnis, ihre Kinder zu beschützen, ist seitdem oft noch größer. Etwas mehr Freiraum für eigene Erfahrungen wie bei der „Freiland-Erziehung“ kann dem vielleicht entgegenwirken – auf beiden Seiten.