Pflegegrad oft zu niedrig eingestuft – wie Sie die typischen Fehler vermeiden
Etwa fünf Millionen Deutsche sind pflegebedürftig und haben einen Pflegegrad. Allerdings wird dieser oft zu niedrig eingestuft. Was Sie dagegen tun können.
Hamburg – Immer mehr Menschen sind in Deutschland von Pflegebedürftigkeit betroffen. Im Dezember 1999 gab es 2,02 Millionen Pflegebedürftige, inzwischen sind etwa fünf Millionen Menschen, die monatlich Leistungen der Pflegeversicherung beanspruchen, so die Geschäftsstatistik der Pflegekassen und der privaten Pflege-Pflichtversicherung. Doch bei vielen Personen, die einen Antrag auf einen Pflegegrad gestellt haben, wird dieser zu niedrig eingestuft, erklären Sozialverbände: „Im Zweifel sollte man darum immer Widerspruch einlegen“, so Madeleine Viol von der VdK Deutschland im Gespräch mit 24hamburg.de von IPPEN.MEDIA.
Pflegegrad wird oft zu niedrig eingestuft – so vermeiden Sie die typischen Fehler
Pflegebedürftigkeit kann grundsätzlich in allen Lebensphasen auftreten. Nach der Definition des Gesetzes werden Personen als pflegebedürftig betrachtet, wenn sie gesundheitsbedingte Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder Fähigkeiten aufweisen und daher auf die Hilfe anderer angewiesen sind. Dann haben Betroffene die Möglichkeit, einen Pflegegrad zu erhalten, der ihnen hilft, wenn sie im Alltag nicht mehr ohne fremde Hilfe zurechtkommen.

Dafür muss zunächst ein Antrag auf einen Pflegegrad gestellt werden. Dafür wird dem Antragsteller oder der Antragstellerin ein Formular, das gewissenhaft ausgefüllt werden sollte, zugeschickt. Anschließend besucht eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter des Medizinischen Dienstes – meist eine Ärztin, ein Arzt oder eine Pflegekraft – die Antragstellerin oder den Antragsteller zu Hause und stellt ein Gutachten aus. Allein 2020 wurden über 2,3 Millionen solcher Pflegebegutachtungen durchgeführt, so die Zahlen des Bundes der Pflegekassen.
Pflegebedürftigkeit im Alter – so funktioniert die Einstufung in Pflegegrade
Handelt es sich um einen Erstantrag, muss dieses Gutachten festhalten, ob der mindestens erforderliche Pflegegrad 2 vorliegt. Ohne diesen Pflegegrad können beispielsweise keine Pflegehilfsmittel beantragt werden. Andere Pflegeleistungen können Pflegebedürftige jedoch auch ohne Pflegegrad erhalten.
Wird nach einer höheren Einstufung verlangt, weil sich der Gesundheitszustand verschlechtert hat, wird ebenfalls ein Gutachter benötigt. Es gibt fünf Pflegegrade, die unterschiedliche Unterstützungsleistungen mit sich bringen. Pflegegrad 1 bezeichnet dabei den geringsten Grad der Pflegebedürftigkeit und entsprechend die geringste finanzielle Hilfe, während Pflegegrad 5 den höchsten Grad darstellt.
Gut vorbereitet in die Pflegebegutachtung – so vermeiden Sie Fehler
„Es ist ratsam, auf alle Fragen wahrheitsgemäß zu antworten und nichts zu übertreiben oder zu beschönigen“, empfiehlt der VdK. Vorher gemachte Notizen sind eine gute Hilfestellung: „Auch Unangenehmes, das den Alltag erschwert, sollte unbedingt angesprochen werden.“ Folgende Unterlagen sollte man vollständig und griffbereit für den Besuch des Medizinischen Dienstes zur Hand haben:
- Aktuelle Krankenhaus- und Arztberichte
- Bescheide und Gutachten, wie beispielsweise den Schwerbehindertenbescheid
- Medikamente und Medikationsplan
- Liste mit allen benötigten Hilfsmitteln wie Rollator, Gehstock, Hörgerät
- Liste mit allen benötigten Pflegehilfsmitteln wie Pflegebett, Hausnotruf, Bettschutzeinlagen
- Liste mit regelmäßigen Behandlungen
- Pflegetagebuch, falls vorhanden
- Eine aktuelle Pflegedokumentation des Pflegedienstes, falls vorhanden.
Zu niedrige Pflegegradeinstufung – jeder zweite Widerspruch erfolgreich
So weit, so gut. „Doch leider kommt es bei den Pflegebegutachtungen oft zu Fehleinschätzungen“, erklärt Madeleine Viol. „Wird ein Pflegegrad oder eine Höherstufung abgelehnt, muss man das nicht akzeptieren“, so die VdK-Expertin. Es komme auch recht häufig vor, dass Anträge abgelehnt werden, obwohl sie eigentlich hätten bewilligt werden müssen. Die VdK rät darum, im Zweifelsfall Widerspruch einzulegen. „Es lohnt sich meistens. 50 Prozent der Widersprüche, die wir begleiten, haben Erfolg“, sagt Viol, in Niedersachsen betrage die Erfolgsquote sogar 60 Prozent.
Pflegegrad abgelehnt – das gilt es beim Widerspruch zu beachten
- Das Ergebnis über einen Antrag auf Pflegeleistungen wird Ihnen von der Pflegekasse in einem Bescheid mitgeteilt.
- Sollten Sie die Entscheidung der Pflegekasse für falsch halten, legen Sie Widerspruch ein.
- Falls der Widerspruch nicht das gewünschte Ergebnis bringt, können Sie vor dem Sozialgericht klagen. Dort gibt es meistens keine Gerichtsgebühren.
- Für Widerspruch und Klage bietet die Verbraucherzentrale kostenlose Musterbriefe.
Widerspruch bei der Pflegekasse: Auch nach der vierwöchigen Frist noch möglich
Das Einlegen eines Widerspruchs muss von dem Betroffenen oder der Betroffenen selbst oder einer bevollmächtigten Person innerhalb von vier Wochen per Einschreiben oder Fax bei der Pflegekasse erfolgen. Das Schreiben kann kurz und formlos verfasst werden, sollte aber eine angemessene Begründung enthalten. Selbst nach Ablauf dieser Frist sind noch nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft: „Wenn man einen Rechtsanwalt bzw. eine Rechtsanwältin oder den Sozialverband einschaltet, kann ein Fall sogar bis zu vier Jahre rückwirkend geprüft werden“, rät Madeleine Viol.
Bei einem Widerspruch überprüft die Pflegekasse das Gutachten und fordert in der Regel ein Zweitgutachten ein. Dieses kann entweder aufgrund von Aktenlage erfolgen oder auf durch einen weiteren Besuch des Medizinischen Dienstes.