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Experte zum Krieg: Der Überfall von Russland hat die Reformen in der Ukraine vorangetrieben statt zu bremsen

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Das Budget der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in der Ukraine wächst, dabei sind aktuell keine deutschen Mitarbeiter vor Ort.

Wie die GIZ derzeit im Land agiert, erläutert der Programmleiter Daniel Busche im Gespräch mit Viktor Funk.

Diese Analyse liegt IPPEN.MEDIA im Zuge einer Kooperation mit dem Europe.Table Professional Briefing vor – zuerst veröffentlicht hatte ihn Europe.Table am 4. April 2023 

Herr Busche, Sie verantworten für die GIZ das Ukraine-Portfolio, wie oft sind Sie selbst in dem Kriegsland?

Derzeit bin ich alle paar Wochen in der Ukraine. Unsere Reisemöglichkeiten sind aus Sicherheitsgründen stark eingeschränkt, die Bundesregierung prüft die Reisen, die einzeln genehmigt werden müssen. Es gibt noch zu viele Risiken, um permanent vor Ort zu sein.

Die GIZ hat demnach keine deutschen Staatsangehörigen als Mitarbeiter in der Ukraine?

Im Moment nicht. Alle mussten auf Anordnung der Bundesregierung raus und arbeiten von Deutschland aus weiter. Rund 70 Kolleginnen und Kollegen sind es aktuell. Im Land selbst sind wir mit lokalen Kräften vertreten.

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Hat die GIZ den lokalen Kräften eine Ausreise aus der Ukraine angeboten? Deutsche Unternehmen haben ja Beschäftigte aus dem Land gebracht.

Wir haben etwa 430 nationale Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Bei Kriegsbeginn haben wir ihnen die Flexibilität geboten, selbst zu entscheiden, was für sie in der jeweils individuellen Situation das Beste ist, ob sie ausreisen oder bleiben wollen. Es gibt viele persönliche Gründe, die für viele Kolleginnen und Kollegen dafürsprachen, vor Ort zu bleiben.

Gab es Opfer unter den GIZ-Beschäftigten?

Glücklicherweise gibt es bisher keine Opfer unter den GIZ-Beschäftigten.

Planen Sie schon die Rückkehr des deutschen GIZ-Personals in die Ukraine?

Es gibt Überlegungen für temporäre Aufenthalte, die unserer Meinung nach in gut begründeten Fällen als relevant einzustufen und damit vertretbar sind. Aber die Entscheidung darüber trifft letztlich die Bundesregierung. Und im Moment sind dauerhafte Aufenthalte nicht vorgesehen.

Zur Person

Daniel Busche (45) ist seit Dezember 2022 Landesdirektor der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH für die Ukraine. Zuvor hatte er für die GIZ, auch im Ausland, zahlreiche internationale Projekte zur Energie- und Wasserversorgung gemanagt. 

Wie organisieren Sie dann die Arbeit vor Ort?

Wir haben über 330 Mitarbeitende dort, die praktisch durchgehend gearbeitet haben. Wir konnten unsere Strukturen aus der Zeit vor dem Krieg nutzen. Das Engagement dieser Kolleginnen und Kollegen, die in der Ukraine teilweise unter den widrigsten Bedingungen arbeiten, ist einfach unbeschreiblich. So können wir nach wie vor dringend benötige Hilfe und Unterstützung leisten.

Was muss die GIZ denn jetzt liefern? Vor dem Krieg hatten Sie eine sehr breite Palette an Projekten, Dezentralisierung, Umweltschutz, Infrastruktur, viele andere. Wie sah es nach dem 24. Februar 2022 aus?

Mit unseren lokalen Partnern haben wir erst einmal direkte Hilfe geleistet, Binnenflüchtlinge untergebracht, Notstromaggregate organisiert, Feldbetten, Medikamente und medizinische Versorgung geliefert. Aber schon zum Sommer hin veränderte sich die Lage, das Land kam aus der Schockstarre raus, wir haben auf mittelfristige Unterstützung umgeschaltet. Es ging dann eher darum, den Kommunen zu helfen, damit sie Dienstleistungen wie Schulbetrieb, Bürgerberatung oder auch so alltägliche, aber wichtige Dinge wie die Müllentsorgung aufrechterhalten können. Oder kleine und mittelständische Unternehmen dabei zu unterstützen, trotz Krieg weiterzuarbeiten, damit keine Jobs verloren gehen.

Wie kann man sich den Einsatz der GIZ derzeit in der Ukraine konkret vorstellen?

Gerade was beginnende Maßnahmen des Wiederaufbaus angeht, ist die technische Beratung eine unserer klassischen Aufgaben. Es gibt zum Beispiel in einem Ort in der Nähe von Kiew, der beim russischen Angriff betroffen war, eine stark beschädigte Schule. Wir helfen nun bei der Schadensbegutachtung, prüfen, ob das Gebäude instandgesetzt werden kann oder abgerissen werden muss. Wir helfen beim Erstellen der Bauunterlagen, beraten die Kommune zu Finanzierung dieser Arbeiten. Die Mittel für die enormen Finanzbedarfe für den Wiederaufbau sind natürlich knapp, also schauen wir gemeinsam, wie die Kommune Mittel für die Instandsetzung mobilisieren kann. Die Notlage im Land hat zudem gezeigt, dass die Kommunen sehr gut in der Lage sind, sich selbst zu helfen. Hier hat unsere jahrelange Beratung zur Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung eine wichtige Rolle gespielt. Die Verwaltungen priorisieren nun gemeinsam mit ihren Bürgerinnen und Bürgern, was zuerst getan werden soll. Hierbei unterstützen wir gezielt. Und bei der eigentlichen Umsetzung kommen dann etwa auch durch die GIZ beschaffte Baumaschinen zum Einsatz.

Sie haben vor dem Krieg auch Projekte im jetzt besetzten Osten gehabt, etwa speziell ausgerüstete Einsatzfahrzeuge für die Feuerwehr in Mariupol bereitgestellt. Haben Sie noch Kontakte zu den Menschen aus diesen Regionen? Und sind die Investitionen in Projekte ganz verloren? 

Die meisten Mitarbeitenden in den Gebieten, die jetzt russisch besetzt sind, haben diese Gebiete verlassen, sind in der Zentral- oder Westukraine. Vielfach ging es um Vermittlung von Wissen, Beratung. Dieses Knowhow haben die Menschen mitgenommen und können das an anderen Orten verwenden. In dem Sinne, dass wir Dinge finanziert haben, die jetzt zerstört oder in russischer Hand sind – dazu liegen aufgrund der schwierigen Sicherheitssituation keine genauen Kenntnisse vor.

Hat der Krieg die Ukraine bei ihren Reformen zurückgeworfen?

Ich würde sagen, eher im Gegenteil. Die Ukrainer haben schon vorher angepackt. Der Status des EU-Beitrittskandidaten sorgt jetzt aber für noch mehr Verbindlichkeit. Da ist jetzt noch mal eine andere Dynamik. Was das Beispiel kommunale Selbstverwaltung betrifft, gibt es die Notwendigkeit, EU-Vorgaben noch stärker zu beachten. Das gilt aber auch bei Industriestandards, beim Handel und im Bereich Energie, wo wir stark engagiert sind. Hier beraten wir und können auf frühere Arbeiten aufbauen, tauschen uns mit den verschiedensten Stellen der ukrainischen Regierung aus.

Ist gerade vor diesem Hintergrund denn wirklich gute Beratung von Deutschland aus möglich?

Zwei Drittel der Einsatzländer der GIZ sind von Krisen, Gewalt und Konflikten gezeichnet. Auch unter schwierigen Bedingungen kann die GIZ wirksam arbeiten. Wir sind in der Lage, unsere Arbeit je nach Land und aktueller Lage schnell und flexibel anzupassen. Dabei hilft uns das über Jahre gewachsene Netzwerk vor Ort. So auch in der Ukraine, wo wir über viele Jahre zusammengearbeitet haben und eine Vertrauensbasis besteht. Vor Ort haben wir zudem weiterhin viele engagierte Mitarbeiter, die sich in der Materie auskennen. Mit ihnen kann man aus der Ferne gut zusammenarbeiten, sie sind die Brückenbauer. Gleichzeitig hoffe ich persönlich, dass das nur eine gewisse Zeit geht. Denn wie bei einer Fernbeziehung kann man natürlich eine auch lange Zeiträume überbrücken – aber es hilft, wenn man weiß, dass man sich wiedersieht und dass die Fernbeziehung eher eine Zwischenlösung als ein Dauerzustand ist.

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