1. 24hamburg
  2. Politik

Getreidedeal trifft Afrika: „Putin versucht, durch Hunger zu spalten“

Erstellt:

Von: Andreas Schmid

Kommentare

Ein Mähdrescher bei Ertearbeiten im ukrainischen Dorf Tschornobajiwka, Region Cherson.
Unter russischer Beobachtung: Ein Mähdrescher bei Erntearbeiten im ukrainischen Dorf Tschornobajiwka, Region Cherson. © Sergei Bobylev/Imago

Die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs für Afrika sind enorm – und werden dennoch kaum beachtet. Wir sprechen mit Experten und blicken auf humanitäre Folgen.

Laut Welthungerhilfe leiden bis zu 828 Millionen Menschen an Hunger. In Afrika sind 33 Länder von Hunger betroffen. „Der Krieg gegen die Ukraine hat die ohnehin schon bestehenden Probleme massiv verschärft“, sagt uns Dr. Rafaël Schneider, stellvertretender Leiter Politik bei der Welthungerhilfe. Das Getreideabkommen könnte helfen, wirkt jedoch nur bedingt.

„Der Überfall Russlands hat den Hunger auf der Welt eskaliert“

Der afrikanische Kontinent ist einer der Hauptimporteure von russischem beziehungsweise ukrainischem Getreide. Als diese Lieferungen im Sommer ausblieben, litt Afrika besonders. „Die fehlenden Getreidelieferungen haben dazu geführt, dass die Weltmarktpreise enorm gestiegen sind“, sagt Schneider. Auch Düngemittel wurden teurer. Die Folge in den Worten des agrarpolitischen Sprechers der CDU/CSU-Fraktion, Albert Stegemann: „Der Überfall Russlands auf die Ukraine, die Kornkammer der Welt, hat den Hunger auf der Welt eskaliert.“

In den ersten Kriegsmonaten brach der Getreideexport aus Russland und der Ukraine zusammen. Unter Vermittlung der Vereinten Nationen und der Türkei verlassen seit Herbst wieder Getreidefrachter die Häfen im Schwarzen Meer. Nun sollte das Abkommen erneut um 120 Tage erweitert werden, doch Russland stimmte nur einer Verlängerung um 60 Tage zu. Der Vize-Chef im Bundestagsausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Christoph Hoffmann (FDP), kritisiert das: „Die neue Einigung schafft nur kurzfristig Sicherheit“, sagt Hoffmann zu IPPEN.MEDIA. Dass überhaupt verlängert wurde, sei gut. Doch klar ist auch: Nach Afrika steuern ohnehin nur wenige Schiffe.

Getreidedeal lässt Afrika im Stich

Mehr als Dreiviertel der Getreidefrachter fahren nach Europa sowie Zentral- und Ostasien. 5,5 Millionen Tonnen gingen bis 17. März nach China, 4,3 Millionen nach Spanien. Dahinter folgen die Türkei, die mit 2,7 Millionen Tonnen in etwa so viel ordert wie der gesamte afrikanische Kontinent sowie die beiden EU-Länder Italien (1,8 Mio.) und Niederlande (1,6 Mio.) zusammen. Afrikas größte Profiteure sind die Sahara-Staaten Ägypten (840.000 Tonnen), Tunesien (560.000) und Libyen (480.000). Nach Deutschland gehen 355.000 Tonnen Getreide (Platz 15).

Region laut WeltbankGeliefertes Getreide in TonnenAnteil an der Gesamtlieferung
Europa und Zentralasien12.954.13351,99 %
Ostasien & Pazifik6.386.54425,63 %
Mittlerer Osten & Nordafrika3.562.09214,30 %
Südasien1.364.1605,48 %
Sub-Sahara-Afrika648.6952,60 %

Dass nicht mehr Frachter nach Afrika fahren, liegt vor allem am Geld. „Die Weltmarktpreise sind immer noch sehr, sehr hoch“, heißt es von der Welthungerhilfe. „Das heißt, wir haben weiterhin eine angespannte Lage und viele Länder gerade in Subsahara Afrika haben weiterhin Schwierigkeiten, ihren Bedarf an Getreide zu decken und ihre Bevölkerung ausreichend zu versorgen.“ Denn: Das Getreide wird an den Höchstbietenden verkauft.

Afrikanische Staaten können mit den Angeboten des Westens nicht mithalten. Der freie Markt beeinflusst die weltweite Versorgungslage. „Auch die internationale Nothilfe, etwa das Welternährungsprogramm, muss auf dem internationalen Markt zu massiv gestiegenen Preisen einkaufen“, sagt FDP-Politiker Hoffmann. Weniger als drei Prozent des Getreides gehen an Länder mit geringem Einkommen, fast die Hälfte dafür an die reichsten Länder der Welt. Die benutzen die Importe zu einem Großteil für die Fleischproduktion. Das Getreide wird an die Tiere verfüttert.

EinkommensstrukturGeliefertes Getreide in TonnenAnteil an der Gesamtlieferung
hohes Einkommen11.561.47846,40 %
oberes-mittleres Einkommen8.854.67535,54 %
unteres-mittleres Einkommen3.841.38515,42 %
geringes Einkommen658.0862,64 %

„Putin versucht, durch den Hunger zu spalten“

Ein weiteres Problem: „Russische Soldaten verminen Äcker und zerstören Silos“, wie Hoffmann sagt. Dadurch werde die Nahrungsmittelerzeugung und der Export aus der Ukraine langfristig gestört. CDU-Politiker Stegemann sieht das ähnlich: „Russland zerstört ganz gezielt zivile Infrastruktur oder stiehlt ukrainisches Getreide im Wert von mindestens einer Milliarde Dollar.“ Gleichzeitig erhebe Russland Ausfuhrsteuern und -kontingente für Getreide und Düngemittel. „Putin versucht insofern durch den Hunger und die wirtschaftlichen Abhängigkeiten anderer Staaten von Russland, die internationale Gemeinschaft in der Ablehnung des völkerrechtswidrigen Krieges zu spalten“, sagt Stegemann. „Das darf ihm nicht gelingen.“

Hinzu kommt der Vorwurf, dass Russland ukrainisches Getreide abfängt, um es selbst zu verkaufen. Der Ukraine entgingen dadurch wichtige Einnahmen. Erst am Donnerstag (16. März) meldete der ukrainische Generalstab, dass Russland über die Hafenstadt Berdjansk Getreide aus den besetzten ukrainischen Gebieten per Schiff exportiert habe. Es soll sich um zwei Millionen Tonnen handeln, wovon ein Viertel für russischen Eigenbedarf vorgesehen sei. Brisant: Diese russischen Getreideaktivitäten geschehen fernab des Getreideabkommens. Wohin die abgefangenen Körnerfrüchte gehen, ist unklar. Das Auswärtige Amt ließ eine Anfrage dazu unbeantwortet.

Ein Acker in Cherson, der von einem russischen Panzer befahren wird.
Nicht an Landwirtschaft zu denken: In der Ukraine sind viele Ackerflächen wie hier in Cherson unbrauchbar. (Archivfoto) © ITAR-TASS/Imago

Der Ukraine-Krieg ist nicht die einzige Katastrophe, die Afrika zu schaffen macht. „Die fehlenden Getreidelieferungen aus der Ukraine sind nur ein Grund für den weltweiten Hunger“, erklärt die Welthungerhilfe. Die Grünen-Politikerin Renate Künast nennt im Gespräch mit IPPEN.MEDIA einen „perfect storm“ aus „einer Vielzahl an Krisen“, wie Klimawandel oder die für Afrikas Wirtschaft erheblichen Corona-Folgen. Obendrein erleben Teile Afrikas aktuell verheerende Dürren sowie Heuschreckenplagen.

Laut Welthungerhilfe ist das Horn von Afrika derzeit besonders von akutem Hunger betroffen, also Länder wie Kenia, Äthiopien und Somalia. „Laut neuesten Prognosen werden in einigen Regionen die Regenfälle das vierte Jahr in Folge ganz ausfallen oder es regnet einfach zu wenig. Schlimmer kann es eine Region kaum treffen als das Horn von Afrika.“ Hunger geplagt ist derweil auch Zentralafrika mit Ländern wie Südsudan, dem Tschad oder dem Kongo. Hoffmann war Anfang März vor Ort und meint: „Alle Länder südlich der Sahara sind mäßig bis sehr ernst von Hunger bedroht. Gut und stabil ist die Versorgung eigentlich nur in Marokko, Tunesien und Algerien.“

Christoph Hoffmann auf Delegationsreise der Parlamentariergruppe Zentralafrika im Kongo.
Christoph Hoffmann auf Delegationsreise der Parlamentariergruppe Zentralafrika im Kongo. „Die Krise im Osten der DR Kongo wurde weitgehend durch Vertreibung und bewaffnete Konflikte ausgelöst“, sagt Hoffmann. „Der Kongo ist eigentlich ein fruchtbares Land und könnte sich selbst und andere Länder ernähren.“ © fkn

Entwicklungsministerin Schulze: „Russland hat Ärmste der Welt als Geißeln genommen“

Der Bundesregierung ist die prekäre Versorgungslage in Afrika nach eigenen Aussagen bewusst. „Russland hat mit seiner Invasion in der Ukraine nicht nur sein Nachbarland angegriffen, sondern auch die Ärmsten der Welt als Geiseln genommen“, sagt Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) zu IPPEN.MEDIA. „Sie sind von den globalen Folgen dieses Krieges, Inflation und Hunger, am härtesten getroffen.“ Deutschland würde „den Rest der Welt nicht vergessen“ und habe das Engagement für den Globalen Süden ausgebaut.

Deutschland hat als G7-Vorsitz im vergangenen Jahr das „Bündnis für globale Ernährungssicherheit“ initiiert und dabei laut Bundesangaben rund fünf Milliarden Euro investiert. Zudem kündigte das Entwicklungsministerium Anfang März an, das Budget für die ärmsten Länder der Welt um 200 Millionen Euro zu erhöhen. Der Haushaltsplan 2023 umfasst damit rund 1,4 Milliarden Euro für die am wenigsten entwickelten Länder. Ob diese Ankündigungen den Hunger am zweitgrößten Erdteil tilgen können, bleibt abzuwarten. Ebenso wie die Hilfen durch das Getreideabkommen, wie FDP-Mann Hoffmann sagt: „Das Grundproblem der Nahrungsmittelimporte wird mit dem Getreideabkommen nicht behoben.“

Die Hungerzahlen zeigten: „Es braucht eine Transformation der Ernährungssysteme.“ Afrika könne sich selbst versorgen. „Doch vielerorts ist die Landwirtschaft ineffizient, die Böden ausgelaugt und die Nachernteverluste hoch“, sagt Hoffmann. „Nur mit dürreangepassten Pflanzensorten, dem angepassten Einsatz von Dünger und einer effizienteren Landwirtschaft kann der Hunger besiegt werden.“ (as)

Quelle der Daten zum Getreideabkommen: Vereinte Nationen. Stand: 17. März. Die Einstufung der Länder bezüglich des Einkommens basiert auf den von der Weltbank festgelegten vier Stufen des Bruttonationaleinkommens.

Auch interessant

Kommentare