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Türkei-Wahl: Das passiert mit dem deutsch-türkischen Verhältnis, wenn die Opposition gewinnt

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Von: Fabian Hartmann, Anna-Katharina Ahnefeld

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Anhänger nehmen an einer Kundgebung des Vorsitzenden der Republikanischen Volkspartei der Türkei (CHP) und Präsidentschaftskandidaten Kemal Kilicdaroglu in Canakkale, Westtürkei, am 11. April 2023 teil.
Anhänger nehmen an einer Kundgebung des Vorsitzenden der Republikanischen Volkspartei der Türkei (CHP) und Präsidentschaftskandidaten Kemal Kilicdaroglu in Canakkale, Westtürkei, am 11. April 2023 teil. © OZAN KOSE/AFP

Der Türkei könnte ein Machtwechsel bevorstehen. Ob sich das komplizierte deutsch-türkische Verhältnis dadurch aber schlagartig verbessert, ist fraglich – und das hat Gründe, sagt ein Experte.

Berlin/Köln – Diesmal könnte es für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan eng werden. In aktuellen Umfragen vor der Türkei-Wahl liegt sein Herausforderer Kemal Kilicdaroglu klar vorne. Der 74-Jährige präsentiert sich als Gegenentwurf zum Alleinherrscher und vermeintlichen Volkstribun. Bescheiden, bodenständig, leicht spröde. Wenn man so will: der Anti-Erdogan. Auch wenn ein Sieg des Oppositionsbündnisses kein Selbstläufer ist, so herrscht in der Türkei doch Wechselstimmung.

Der Präsident ist angeschlagen. Und auch der türkischen Wirtschaft – Stichwort Inflation – geht es schlecht. Das verheerende Erdbeben in der Türkei und Nordsyrien Anfang des Jahres führte zu einem weiteren Vertrauensverlust. Und spätestens seit den Gezi-Protesten 2014 und deren brutaler Niederschlagung ist klar, dass die Türkei unter dem 69-jährigen konservativen Politiker in Richtung Autokratie schlittert.

Ein Sieg des Sechserbündnis – von der sozialdemokratischen CHP bis zu nationalistischen Kräften – würde das Ende dieser Ära bedeuten. Das hätte nicht nur für das Land am Bosporus, sondern auch für die Beziehungen zu Deutschland weitreichende Folgen. Das deutsch-türkische Verhältnis ist komplex, eng – und nicht immer spannungsfrei. Laut Statistischem Bundesamt leben knapp drei Millionen Menschen mit türkischem Migrationsbiografie in der Bundesrepublik. Erdogan sieht in den Deutsch-Türken vor allem eines: Türken. Und treue AKP-Wähler.

Politikwissenschaftler Copur: „Ein Sieg der Opposition heißt nicht, dass alles wieder gut ist“

Burak Copur blickt mit Sorge auf den Wahlkampf in der Türkei. Der Politikwissenschaftler aus Essen ist ein ausgewiesener Kenner des Landes. Daher weiß er: Die Türkei ist ein Land voller Risse und Widersprüche. Und das bleibt sie auch nach dem 14. Mai, dem Tag der Präsidenten- und Parlamentswahlen. „Es ist nicht so, dass die Opposition die Wahl gewinnt, und alles ist wieder gut“, sagt er. Dafür wiegen die Altlasten zu schwer. Zwanzig Jahre AKP-Herrschaft haben das Land geprägt, es von Europa und Deutschland entfernt. Ein Sieg der Opposition, sagt Copur, könne nur der Anfang sein. Nach den Wahlen beginnen die Aufräumarbeiten – sofern der Alleinherrscher aus seinem Palast in Ankara vertrieben wird.

Was das Sechserbündnis eint, das Erdogan herausfordert, ist – bei allen weltanschaulichen Unterschieden – der Wunsch, zur parlamentarischen Demokratie zurückzukehren. Erdogan hatte ein Präsidialsystem installiert, die Verfassung komplett auf sich zugeschnitten. Dafür wurde die Gewaltenteilung vollends ausgehebelt, der Rechtsstaat war bereits beschädigt und die türkischen Medien größtenteils auf Linie gebracht. All das will die Opposition ändern. Türkei-Kenner Copur glaubt, dass es damit allein nicht getan sei. Auch die AKP-Vergangenheit müsste aufgearbeitet werden. „Und beim Blick zurück war die Türkei nie gut“, sagte Copur der Frankfurter Rundschau.

Die spannende Frage ist: Hält das Oppositionsbündnis auch dann noch zusammen, wenn es sein Hauptziel – das Ende der Ära Erdogan – erreicht hat? Und kehrt die Türkei wirklich auf den Pfad der Demokratie zurück? Davon hängt ab, wie sich das deutsch-türkische Verhältnis in Zukunft entwickelt.

Türkei-Wahl: Linken-Politikerin zu einem möglichen Sieg des Oppositionsbündnisses über Erdogan

„Die nationalistisch-konservative Regierung unter der AKP und MHP und dem Autokraten Erdogan hat schon sehr viel Vertrauen zerstört“, sagt dazu Linken-Politikerin Gökay Akbulut der Frankfurter Rundschau. Sollte es Kilicdaroglu und seinen Verbündeten gelingen, Recep Tayyip Erdogan zu bezwingen, dann müssten die Türkei wieder demokratisiert und eine diplomatischere Tonart gegenüber Berlin angeschlagen werden, so die Linke.

Gleichwohl: „Falls Erdogan verlieren sollte, wird es erstmal Zeit brauchen, den ganzen Machtapparat zu zerschlagen. Das wird nicht einfach“, meint die Sozialwissenschaftlerin. Denn während seiner Regierungszeit habe Erdogan einen Machtapparat aufgebaut, der in allen staatlichen Behörden dominiere. Selbst nach einem Wahlsieg sieht Akbulut also die mögliche neue türkische Regierung vor großen Herausforderungen. Und damit auch die deutsch-türkischen Beziehungen.

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