Röttgen erhebt Vorwürfe bei „Lanz“: Nord-Stream-Pipelines waren „eine Waffe gegen die Ukraine“

Chinas Friedensplan, Putins Propaganda-Show und ständig neue Waffen: Zum Jahrestag im Ukraine-Krieg ackert sich die Runde bei Markus Lanz durch die Themen.
Hamburg – Seit einem Jahr tobt der russische Angriffskrieg in der Ukraine. In der ZDF-Talkshow von Markus Lanz wollen die Gäste am Donnerstagabend eine Bilanz des Krieges ziehen. Doch das ist gar nicht so einfach. Denn ein Ende des Konflikts ist kaum in Sicht. Zwar hat China einen Friedensplan vorgelegt. Doch in Russland zeigt man sich wenig versöhnlich. In einer Propaganda-Show in einem Stadion ließ Putin immer neue Drohungen in Richtung des Westens los. Wirkt so jemand, der einfach aufgibt?
Markus Lanz: Zum Jahrestag im Ukraine-Krieg reizt Putin den Westen mit seiner Rede
Wladimir Putins Rede an die Welt sei „absurd“ gewesen. Das ist die einhellige Meinung der Runde am Donnerstagabend. Der russische Staatschef hatte zuvor in seiner Ansprache einen Zerfall der Werte im Westen angeprangert: Die Zerstörung der Familie, der kulturellen und nationalen Identität, Perversion und Missbrauch von Kindern, einschließlich Pädophilie – das seien alles „aneinandergereihten Lügen“, befindet Moderator Markus Lanz zum Auftakt.
Zeit-Journalist Michael Thumann stimmt zu: „Sie denken sich einfach Dinge aus, um uns zu dämonisieren“, sagt er. „Die hören, was sie selbst bestellt haben.“ Putin benutze das Smartphone nur als Telefon. „Es wird ihm dann vieles vorgelegt. Da wird ihm natürlich möglichst wenig Störendes vorgelegt.“ Die „große Gefahr“ sei, „dass man sich am Ende selbst belügt“. Putin habe „sich selbst verwirrt“, wie es auch beim Thema Ukraine passiert sei.
Mit Markus Lanz diskutierten diese Gäste:
- Adrian Geiges (Autor)
- Margarete Klein (Politologin)
- Norbert Röttgen (Bundestagsabgeordneter, CDU)
- Michael Thumann (Journalist, „Die Zeit“)
Womit die Runde beim Hauptthema des Abends ist: dem Krieg in der Ukraine. Lanz diagnostiziert bei Putin eine gewisse Weltfremdheit: „Wenn Du in einer Diktatur an der Spitze bist, dann erfährst du nie mehr die Wahrheit.“ Autor Geiges stimmt zu und zieht Parallelen zum Westen: Menschen, die eine andere Meinung haben, würden sich gut überlegen, ob sie diese sagen, „weil sie wissen, was das für Konsequenzen für Sie haben kann“.
Der Ukraine-Krieg sei deshalb völlig aus dem Ruder gelaufen. Was zunächst von Russland als „militärische Sonderoperation“ bezeichnet wurde, habe zu einer Teilmobilmachung geführt und schließlich zu einer Massenflucht aus dem Land. Junge Männer in Russland und der Ukraine versuchten zu fliehen, nur um nicht ins Militär eingezogen zu werden. Es sei „eine Kriegserklärung an das eigene Volk“, sagt Thumann. Der Krieg insgesamt sei „ein Großangriff auf die europäische Ordnung“.
Norbert Röttgen: Die Nord-Stream-Pipeline war für Russland „eine Waffe gegen die Ukraine“
Die Verluste sind immens. Die Politologin Margarete Klein hat rund 180.000 getötete russische Soldaten gezählt. In der Ukraine spricht man von fast 200.000 Opfern. 20.000 bis 30.000 getötete Zivilisten seien zu beklagen, so Klein. Doch wie beendet man diesen Krieg? Das Friedensmanifest der Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht und der Feministin Alice Schwarzer sei in jedem Fall der falsche Weg, darüber ist sich die Runde einig. Denn die Voraussetzungen für Frieden seien noch nicht geschaffen. Zunächst müsse weiter gekämpft werden.
CDU-Mann Norbert Röttgen ist zufrieden, dass die Nord-Stream-2-Pipelines zerstört wurden, denn diese seien schließlich selbst „eine Waffe gegen die Ukraine“ gewesen. Die Hintergründe müssten aufgeklärt werden - die des Baus der Pipelines. Thumann fordert dazu eine „deutsche Wahrheitskommission“, wie sie auch beim Aufarbeiten der Corona-Maßnahmen nötig wäre. „Wie denn?“, fragt Lanz, „ein Untersuchungsausschuss gegen die Kanzlerin?“ Röttgen erklärt: „Es waren ja Strukturen, die, wenn wir es nicht benennen, weiter wirken. Wenn es eine Konsequenz dieses größten Versagens der Nachkriegsgeschichte gibt, dann müssen wir das aufarbeiten.“
Ende des Ukraine-Kriegs? Chinas Friedensplan nur für „nützliche Idioten“
Einig ist sich die Runde auch bei der Beurteilung Chinas. Sie fällt negativ aus. Vor allem die neue chinesische Friedensinitiative kommt nicht gut an. „Ich ärgere mich darüber, dass schon mit dem Begriff ein Erfolg für die Chinesen verbunden ist“, gibt Röttgen zu. Der chinesische Friedensplan habe „nichts mit Frieden zu tun. Das ist das Gegenteil.“ Die Chinesen würden darauf setzen, „dass es nützliche Idioten gibt, die sagen ‚Guck mal, das ist doch mal eine Initiative‘“.
Dass die Chinesen aktiv ins Kriegsgeschehen eingreifen könnten, befürchtet niemand in der Runde. „Alles spricht dagegen, dass China Waffen liefert“, sagt Röttgen. Und Klein bekräftigt: „Ich sehe nicht, dass große Waffensysteme geliefert werden.“ Autor Geiges stimmt ebenfalls zu und hat dahinter ohnehin andere Ziele ausgemacht: „Es geht jetzt darum, China zum führenden Land der Erde zu machen“, sagt er. Nur deshalb mische sich das Land in den Konflikt ein. „Da ordnet sich auch diese sogenannte große Friedensinitiative ein“, so Geiges. Lanz gefällt die Bezeichnung nicht: Man solle lieber „einfach nur noch Initiative sagen“ statt Friedensinitiative. Das sei „das richtige Framing“.
Wirken denn die Sanktionen des Westens gegen Russland, will Lanz wissen. Thumann bezweifelt die aktuellen Berichte von einer starken russischen Wirtschaft und einem gestiegenen Rubel-Kurs. Er sagt: „Man sieht, dass der russische Staatshaushalt massiv ins Minus gegangen ist.“ Er gibt allerdings zu, dass alles, was Russland braucht, auch irgendwie den Weg ins Land finde. Über Georgien und Kasachstan etwa blühe der Schwarzhandel, auf dem Graumarkt ist alles zu haben, wie vor den Sanktionen. Lanz glaubt, dass die Sanktionen irgendwann sicher Erfolg haben werden. Die Wirkung sei zwar kurzfristig nicht zu spüren, „aber langfristig definitiv – zu hundert Prozent“.
Fazit des Talks bei Markus Lanz
Markus Lanz tritt auf der Stelle. Wenn alle Gäste komplett einer Meinung sind, kommt keine Debatte zustande. Besonders schade: Aktuelle Entwicklungen wurden gar nicht besprochen. Etwa Putins Ankündigung, den Abrüstungsvertrag „New Start“ mit den USA auszusetzen und möglicherweise ein neues Wettrüsten zu beginnen. (Michael Görmann)