„Deutsche Ängste“ - oder „Rutschbahn“ Richtung Atomkrieg? Lanz-Runde geht ans Eingemachte

Markus Lanz diskutiert wieder das „Manifest für Frieden“ - ein Erstunterzeichner muss sich einiges anhören. Die Runde rechnet mit Kampfjet-Lieferungen.
Hamburg - Die vom West-Ost-Duo Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht initiierte Friedensdemo und das dazugehörige „Manifest für Frieden“ stehen in der Kritik. Nicht nur wegen eher lauwarmer Abgrenzung nach Rechtsaußen: Einer der Erstunterzeichner, Politikwissenschaftler Johannes Varwick, will im ZDF-Polittalk bei Markus Lanz seine Position verteidigen. Leichtes Spiel hat er nicht.
Zunächst zeigt sich der Professor einsichtig und distanziert sich bei Lanz deutlich von Wagenknecht. Er habe von deren Teilnahme erst einen Tag vor der Veröffentlichung per E-Mail von Alice Schwarzer erfahren. Außerdem bemängelt Varwick, die Initiatoren hätten sich nicht deutlich genug von der Teilnahme prominenter AfD-Politiker distanziert: „Man muss schon Grenzen ziehen. Ich möchte nicht mit Rechten in einer Reihe genannt werden“, moniert Varwick.
„Markus Lanz“ - diese Gäste diskutierten mit:
- Roderich Kiesewetter (CDU) - Mitglied des Bundestages, Oberst a.D.
- Prof. Johannes Varwick - Lehrstuhlinhaber für Internationale Beziehungen und europäische Politik an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
- Rieke Havertz - US-Korrespondentin bei Zeit Online
- Kristin Helberg - Nahost-Expertin, Politwissenschaftlerin und freie Journalistin
Inhaltlich will der Professor für internationale Beziehungen allerdings nicht von seiner Haltung abrücken. Auch, wenn er seine Thesen deutlich zurückhaltender als noch vor einigen Monaten verteidigt. Varwick sagt, er sei nicht „prinzipiell“ gegen Waffenlieferungen, aber gegen eine „Eskalation von Waffenlieferungen“.
Außerdem müsse man darüber nachdenken, „Russland einen Ausweg zu bieten“. Wie das aussehen könnte, erklärt der Wissenschaftler aber nicht. Für ihn sei auch „die USA leider ein Teil des Problems“. Als Varwick warnt, dass sich Deutschland bei fortgesetztem Ukraine-Kurs auf einer „Rutschbahn in Richtung Krieg“ befinde, reagiert Nahost-Expertin Kristin Helberg gereizt.
Sie wirft der Initiative vor, mit „deutschen Ängsten“ zu spielen. Helberg mahnt, statt Angst sei die Geschlossenheit des Westens wichtig, um Putin letztendlich zu Verhandlungen zu bewegen. Die mit einem Syrer verheiratete Journalistin muss aber auch eingestehen, dass Putins Kriegsstrategie in der Ukraine einer Fortführung des Kurses in Tschetschenien und Syrien darstellt: Die Bedrohten hätten nur die Wahl, sich zu unterwerfen oder rigoros zerstört zu werden.
Lanz kritisiert die Manifest-Unterzeichner: Geht ihnen primär um deutsche Befindlichkeiten
Lanz äußert den Verdacht, dass es vielen Unterzeichnern „primär“ um „deutsche Befindlichkeiten“ geht. Ein Einspieler zeigt, dass bei der Demonstration „keine einzige ukrainische Flagge“ zu sehen gewesen sei. Lanz fühlt Varwick auf den Zahn: „Hört die Ukraine heute auf zu kämpfen, hört sie morgen auf zu existieren. Ist Ihnen das egal?“ Der Wissenschaftler kämpft sichtlich: „Das ist ein wichtiger Punkt, den Sie machen“, gesteht er schließlich ein. Unmut regt sich, als Varwick sagt, die aktuell in Bachmut kämpfenden ukrainischen Soldaten würden „verheizt“.
Es sei „zynisch“, so Kiesewetter in Richtung Varwick, der Ukraine nun Vorhaltungen zu machen, weil sie um ihre Existenz kämpfe und Waffen fordere. „Nicht die Waffenlieferungen eskalieren den Krieg, sondern Putin eskaliert den Krieg“, betont Kiesewetter. Welche ernüchternden Ergebnisse die Eingeständnisse des Westens gegenüber Wladimir Putin der letzten Jahrzehnte gebracht hätten, zählt Kiesewetter in einem kleinen Rückblick auf. So hätten weder die Entmilitarisierung der Ukraine noch die Genehmigung von Nordstream 2 zu einem Einhalten Putins geführt - sondern im Gegenteil zu weiteren Aggressionen.
Kiesewetter mahnt: Nicht Waffenlieferungen eskalieren den Krieg, sondern Putin
Kiesewetter fordert gemeinsam mit den anderen Gästen der Runde, die westliche Strategie beizubehalten. Er erinnert zudem an die demokratischen Kräfte in Russland. Diese hätten lange im Land für die Demokratie gekämpft, darauf solle jetzt der Fokus gelegt werden. Seiner Meinung nach stellen sie weiterhin eine Alternative zum System Putin dar.

US-Korrespondentin Rieke Havertz prognostiziert, dass US-Präsident Joe Biden einer Kampfjet-Lieferung in die Ukraine in naher Zukunft zustimmen wird. Kiesewetter bestätigt, die Ausbildung von ukrainischen Piloten in den USA sei bereits angelaufen. Varwick kommentiert das erneut mit atomaren Zerstörungsszenarien und warnt vor einem „apokalyptischen Krieg mit Russland“. Die Runde stuft diese Gefahr dagegen derzeit als wenig realistisch ein.
Fazit des „Markus Lanz“-Talks
Die Sendung bot eine geballte Ladung an politischem Hintergrundwissen und gab Einblicke in die geopolitischen Zusammenhänge der europäischen Länder über die Ukraine und die Türkei bis hin zum Nahen Osten. Am Ende hinterließ sie ein ungutes Gefühl: Da gibt es sehr wenige gemeinschaftlich orientierte Lösungen, sondern ein unaufhörliches Reiben und Ringen um Vormachtstellung. (Verena Schulemann)