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McAllister zu korrupten EU-Politikern: „Wie in schlechter Netflix-Serie“

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Von: Jens Kiffmeier

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Der Korruptionsskandal hat das EU-Parlament schwer erschüttert. Ist der Ruf dauerhaft hin? Nein, sagt David McAllister. Doch ohne neue Lobby-Regeln geht es nicht.

Brüssel – Eigentlich hätte es ein gutes Jahr werden können. Für die Europäische Union (EU). Und für deren Politikerinnen und Politiker. Geschlossen wie nie waren das Europaparlament und die übrigen Brüsseler Institutionen im Ukraine-Krieg aufgetreten und hatten Wladimir Putin mit harten Sanktionen seine Grenzen aufgezeigt. Selbst EU-Unruhestifter Victor Orban ließ sich halbwegs bändigen. Doch dann kamen Pier Antonio Panzeri und Eva Kaili mit ihren Komplizen – und rissen das EU-Parlament in eine der schwersten Glaubwürdigkeitskrisen ihrer Geschichte.

Deutscher Politiker:David McAllister
Funktion:Europaabgeordneter
Alter:51 Jahre alt
Familie:verheiratet, zwei Kinder

Korruption in der EU: Eva Kaili reißt EU-Parlament in die Sinnkrise – was kann man tun, Herr McAllister?

Am 13. Dezember stürmten Ermittler in 18 Büros und Wohnungen. Der Vorwurf: Bestechung und Geldwäsche im Dunstkreis des Europaparlamentes. Im Zuge des Korruptionsskandals wurden fünf Personen festgenommen. Unter den Inhaftierten befinden sich neben dem mutmaßlichen Drahtzieher Panzeri auch Eva Kaili und ihr Lebensgefährte. Auch bei der früheren Vizepräsidentin des EU-Parlaments sollen bei der Razzia erhebliche Summen an Bargeld gefunden worden sein – mit hoher Wahrscheinlichkeit handelt es sich dabei um Bestechungsgelder aus Katar und Marokko.

Ist vom Korruptionsskandal im EU-Parlament erschüttert: Europapolitiker David McAllister (CDU).
Ist vom Korruptionsskandal im EU-Parlament erschüttert: Europapolitiker David McAllister (CDU). © U. J. Alexander/Christophe Gateau/dpa/imago/Montage

David McAllister, früherer Ministerpräsident Niedersachsens und heutiger Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im EU-Parlament, machen die Vorgänge nur noch fassungslos. Ob er was geahnt hat? Zeit für ein Gespräch über korrupte Abgeordnete in der Politik, die Macht des Geldes und einem Ausweg aus der Imagekrise:

Bestechung und Geldwäsche: David McAllister über die Korruption im Europaparlament – ein Interview

Frühere und aktuelle EU-Abgeordnete haben sich die Taschen mit Geld vollgemacht – und den ohnehin angekratzten Ruf ramponiert. Wie durchleben Sie aktuell die Zeit?

Diese Vorfälle machen fassungslos und wütend. Ich bin entsetzt und zutiefst besorgt. Strafrechtliche Ermittlungen wegen mutmaßlicher Geldwäsche, Korruption und Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung – das alles erinnert an eine schlechte Netflix-Serie. Hier waren einige wenige mit schlimmer krimineller Energie unterwegs. Aber der Schaden trifft uns alle.

Haben wir in der Affäre erst die Spitze des Eisberges gesehen?

Das kann ich nicht beurteilen. Das werden die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen ergeben. Das Europäische Parlament wird die beteiligten Behörden im Rahmen der laufenden strafrechtlichen Ermittlungen uneingeschränkt unterstützen, allen voran die belgische Föderalstaatsanwaltschaft. Dies ist dringend notwendig, um das Vertrauen in die Integrität des Europäischen Parlaments und in die Rechtsstaatlichkeit wiederherzustellen. Korruption ist Gift für die europäische Demokratie!

In Brüssel gehen Lobbyisten ein und aus. Hatten Sie schon immer ein ungutes Gefühl?

Überall dort, wo politische Entscheidungen getroffen werden, tragen Interessenvertreter ihre Argumente vor. Das ist in der Landespolitik so, das ist in der Bundespolitik so – und das ist auch in der Europapolitik so. Das gehört zum Tagesgeschäft. Wenn allerdings versucht wird durch Geld, Sachgeschenke oder andere unangemessene Formen Einfluss zu nehmen, dann handelt es sich um Bestechung und andere Straftaten. Das ist inakzeptabel. Das ist kriminell.

Folgen aus EU-Korruptionsskandal um Kaili und Panzeri: McAllister fordert härtere Anti-Lobby-Regeln

Sind die Anti-Lobby-Regeln zu lasch?

Es handelt sich bei diesem Skandal um schwere Straftaten. Dass die belgischen Behörden über Wochen die Festnahmen und Durchsuchungen so gut vorbereitet haben, zeigt, dass der Rechtsstaat funktioniert hat. Diese Vorfälle sind gravierend. Das Europäische Parlament muss daher handeln und zügig konkrete Vorschläge machen.

Was schwebt Ihnen konkret vor?

Bereits sechs Tage nach der ersten Festnahme hat das Europäische Parlament mit großer Mehrheit eine Entschließung verabschiedet. Demnach soll das Transparenzregister der EU gestärkt werden. Wir sollten es personell und finanziell besser aufstellen, damit die bereitgestellten Informationen gründlicher überprüft werden können. Unsere Transparenzregeln sind schon viel weitgehender als in den meisten nationalen Parlamenten. Gleichwohl sollte ein Sonderausschuss im Europäischen Parlament zügig eingesetzt werden, der mögliche Schwachstellen zu Transparenz, Integrität und Korruption identifiziert und konkrete Reformen vorschlagen kann. Außerdem sollten die sogenannten Friendship-Groups im Parlament endlich besser reguliert und kontrolliert werden. Das fordere ich als Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses schon seit Langem. 

Sie meinen die inoffiziellen Runden von Abgeordneten?

Es steht Abgeordneten frei, sich in informellen Gruppierungen zusammenzuschließen. Darum geht es nicht. Aber wir wissen derzeit gar nicht, wie viele dieser Gruppierungen es tatsächlich gibt. Ein offizielles, zugängliches und aktuelles Register ist dafür erforderlich. Da müsste beispielsweise eingetragen werden, wer welcher Gruppe angehört, wer sich wann und wo mit wem trifft und ob bei diesen Treffen Vertreter aus Drittstaaten anwesend waren, ob Reisen stattfinden und wenn ja, wer was bezahlt. Das muss alles verbindlich und transparent notiert werden.

Korruption aus Katar und Marokko: McAllister zieht für EU-Parlament klare Linie

Ein Thema, 27 Meinungen – ziehen da alle EU-Mitgliedsländer an einem Strang?

Das Europäische Parlament hat wenige Tage nach den bekannt gewordenen Vorfällen mit einer umfassenden Entschließung mit konkreten Vorschlägen reagiert. Noch haben wir nicht alle Antworten, aber diese Beratungen waren ein angemessener Auftakt. Das Parlament muss jetzt das Heft in die Hand nehmen, um die Integrität unserer Institution zu wahren. Und dabei sollten wir mit einem hohen Maß an Geschlossenheit und Entschlossenheit auftreten – auch gegenüber Drittstaaten.

Sie meinen Katar? Wird dieser Staat die Konsequenzen der EU spüren?

Es hat mutmaßliche Versuche Katars gegeben, Abgeordnete, ehemalige Abgeordnete sowie Mitarbeiter durch Korruption zu beeinflussen. Das bedeutet eine gravierende Einflussnahme aus dem Ausland auf demokratische Willensbildungsprozesse in der EU. Ob diese Vorwürfe zutreffen oder nicht, werden die gerichtlichen Ermittlungen ergeben. Bis dahin wird das Europäische Parlament die Zugangsausweise für Vertreter katarischer Interessen deaktivieren und die Arbeit an Gesetzgebungsdossiers wie beispielsweise die Visa-Liberalisierung aussetzen.

Zur Person: David McAllister (CDU) ist ein deutscher Politiker, der auch die britische Staatsbürgerschaft besitzt. Er war von 2003 bis 2010 Vorsitzender der niedersächsischen CDU-Landtagsfraktion und vom 1. Juli 2010 bis zum 19. Februar 2013, auch Ministerpräsident von Niedersachsen – als Nachfolger von Christian Wulff. Zwar gewann er die Landtagswahl 2013 hauchdünn. Doch bei der Regierungsbildung konnte er sich nicht gegen die SPD und die Grünen durchsetzen, die zusammen eine Stimme mehr zusammenbrachte als das konservative Lager. Seit 2014 sitzt McAllister nun im Europaparlament. Dort leitet er mittlerweile den Auswärtigen Ausschuss. (jkf)

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