Wahlen in Putins Vorhof: Kasachstans Präsident feiert Sieg - doch es gibt Zweifel

Russlands langjähriger Verbündeter Kasachstan hat gewählt. Präsident Tokajew feiert sich bereits als Sieger, doch Wahlbeobachter kritisieren Missstände. News-Ticker.
- Wahl in Kasachstan: Tokajew-Partei feiert laut drei Instituten Erdrutschsieg
- Kasachstan wählt: Tokajews Reformen nur „Augenwischerei“?
- Tokajew sicher im Amt: Präsident selbst hatte bereits Ende 2022 seine Macht zementiert.
Update vom 20. März, 12.55 Uhr: Nach der Parlamentswahl in Kasachstan haben internationale Wahlbeobachter Fortschritte gelobt, aber auch Missstände kritisiert. „Beschränkungen bei der Ausübung von fundamentalen Freiheiten bestehen weiterhin“, teilte das zuständige Büro der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) am Montag in Kasachstans Hauptstadt Astana mit - unter anderem mit Blick auf die Pressefreiheit.
„Weitere Änderungen des Rechtsrahmens sind nötig, um eine ausreichende Basis für die Abhaltung demokratischer Wahlen zu bieten“, hieß es weiter in der Erklärung. Kasachische Beobachter machten in sozialen Netzwerken auf mutmaßlichen Wahlbetrug aufmerksam. Offizielle Ergebnisse der von Präsident Kassym-Schomart Tokajew vorgezogenen Abstimmung lagen zunächst nicht vor. Mehrere Meinungsforschungsinstitute sahen die Regierungspartei Amanat mit mehr als 53 Prozent vorn.
Das wäre für Amanat ein deutlich niedriges Ergebnis als früher - doch auch die anderen fünf Parteien, die den Umfragen zufolge ins Parlament kommen, stehen nach Einschätzung unabhängiger Experten loyal zum Präsidenten. Kritiker hatten dem 69-jährigen Tokajew schon im Vorfeld vorgeworfen, vor allem seine Macht festigen zu wollen, indem er mehr Parteien und Kandidaten zuließ - aber kaum echte Opposition.
Wahl in Kasachstan: Tokajew-Partei feiert laut drei Instituten Erdrutschsieg
Update vom 19. März, 21.30 Uhr: Nach drei Prognosen unterschiedlicher Institute gibt es kaum noch Zweifel: Die Partei des kasachischen Präsidenten Tokajew hat die Parlamentswahlen gewonnen. Drei verschiedene Institute taxierten „Amanat“ auf Werte zwischen 53,33 und 54,42 Prozent, wie das örtliche Medium Astana Times berichtete. Mit weitem Abstand folgt demnach die „Auyl Demokratisch-Patriotische Volkspartei“ auf Rang zwei. Sie wird auf gut 10 bis 11 Prozent taxiert.
Nach einer Absenkung der Hürde für den Parlamentseinzug könnten sechs bis sieben Parteien den Sprung schaffen. Ein offizielles Ergebnis werde die Wahlkommission am Montag verkünden, hieß es.
Die Wahl verlief allerdings nicht frei von Protesten, wie unter anderem das Portal Nexta twitterte. Ein kleines Indiz könnte auch eine ungewöhnliche Variante des kasachischen Wahlrechts liefern: Den Prognosen zufolge votierten rund vier Prozent der Wähler gegen alle Wahlvorschläge.
Update vom 19. März, 20.30 Uhr: Die vorgezogenen Parlamentswahlen in Kasachstan erbringen offenbar einen Erdrutschsieg für die Partei von Präsident Kassym-Schomart Tokajew. Laut ersten Hochrechnungen kommt seine Partei „Amanat“ auf 54 Prozent, wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtet.
Wahlen in Putins Vorhof: Distanziert sich Kasachstan? Fachleute zweifeln
Vorbericht: Astana/Almaty - In der Nachbarschaft von Wladimir Putins Russland finden am Sonntag (19. März) Wahlen statt: Kasachstans oft als autoritär kritisierter Präsident Kassym-Schomart Tokajew hat die Abstimmung für das erst vor gut zwei Jahren gewählte Nationalparlament „Maschilis“ vorverlegen lassen. Auch Regional- und Kommunalvertretungen des einst sowjetischen Landes an der Grenze zu Russland und China werden nun neu zusammengesetzt.
Es ist eine von zahlreichen Reaktionen des Staatschefs auf die Proteste im Januar 2022. Diese hatten ursprünglich als regierungskritische Unmutsbekundungen gegen gestiegene Gaspreise begonnen und schlugen dann in einen Machtkampf zwischen Eliten im Staat um.
Tokajew nutzte die Unruhen damals, um seinen bis dahin noch immer äußerst einflussreichen Vorgänger und einstigen Ziehvater, den Ex-Langzeitpräsidenten Nursultan Nasarbajew, zu entmachen. Auch mithilfe verbündeter russischer Truppen ließ Tokajew die Proteste gewaltvoll niederschlagen. Mehr als 200 Menschen wurden getötet, darunter viele Zivilisten.
Später setzte Tokajew eine Verfassungsänderung durch, leitete Reformen ein und entfernte Nasarbajew-Vertraute aus dem Machtapparat. Selbst die nach Nasarbajew benannte Hauptstadt ist mittlerweile wieder zurückbenannt von Nur-Sultan in Astana. Im vergangenen November ließ sich der 69 Jahre alte Staatschef bei einer ebenfalls vorgezogenen Präsidentenwahl im Amt bestätigen - und setzte dann die Neuwahl für die Parlamente an.
Kasachstan wählt: Tokajews Reformen nur „Augenwischerei“?
Offiziell will Tokajew seinen Landsleuten nun ein „neues Kasachstan“ mit mehr Teilhabe und größerer politischer Auswahl bieten. So wurden für diese Wahl zwei neue Parteien registriert und mehrere unabhängige Kandidaten zugelassen. Außerdem werden erstmals alle 98 Abgeordneten direkt vom Volk gewählt. Internationale Wahlbeobachter loben darüber hinaus das Absenken der Hürde für den Einzug einer Partei ins Unterhaus von sieben auf fünf Prozent. Zugleich kritisieren sie mangelnde Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit.
In den Augen unabhängiger kasachischer Experten wiederum dienen die neuen Abstimmungsregelungen in erster Linie Tokajews Machterhalt und -legitimation. Der Politologe Dimasch Alschanow etwa spricht von Augenwischerei: „Diese Änderungen erschaffen die Illusion, dass angeblich ganz viele Leute um die Sitze im Parlament kämpfen“, sagt er der dpa. In Wirklichkeit aber verhielten sich neben der Regierungspartei „Amanat“ auch die anderen sechs Parteien weitgehend loyal zu Tokajew. Ernstzunehmende Oppositionelle seien kaum zugelassen worden.
„Diese Wahlen kann man als Versuch bezeichnen, eine überzeugendere Imitation von Konkurrenz herzustellen“, sagt Alschanow. Viele Bürger verstünden das auch, aber nach Tokajews brutalem Handeln im letzten Jahr sei an größeren öffentlichen Gegenwind derzeit kaum zu denken. „Die Gesellschaft hat einen ziemlich heftigen Schock erlitten“, sagt Alschanow. Die Juristin und Bürgerrechtlerin Ajna Schormanbajewa fordert: „Wir brauchen eine internationale Aufklärung der Proteste.“ Es könne keine Gerechtigkeit geben, solange die Tötung so vieler Menschen durch den eigenen Staatsapparat nicht aufgeklärt sei.
Wahl in Kasachstan: Expertin zweifelt an Ablösung von Russland
Ebenso wenig wie einen echten Reformprozess halten Schormanbajewa und Alschanow unter dem derzeitigen Präsidenten eine Loslösung vom großen Nachbarn Russland für realistisch - auch wenn Tokajew im Zuge des russischen Krieges gegen die Ukraine eine bemerkenswert distanzierte Haltung gegenüber Moskau einnimmt. So sorgte er beispielsweise im vergangenen Sommer international für einiges Aufsehen, als er bei einem Besuch in Moskau Kremlchef Wladimir Putin ins Gesicht sagte, dass er die mittlerweile völkerrechtswidrig annektierten Gebiete Luhansk und Donezk weiter als ukrainisch anerkenne.
Solche Auftritte bedeuteten aber keinesfalls eine Abkehr vom wichtigen Bündnispartner Russland, sondern vielmehr sei es der schlichte Versuch, westlichen Sanktionen aus dem Weg zu gehen, sagt Schormanbajewa. „Kasachstan sitzt eben zwischen vielen Stühlen.“
Der Politologe Alschanow wiederum verweist darauf, dass die wirtschaftliche Abhängigkeit von Russland viel größer sei als etwa von Deutschland, für das Kasachstan wichtigster Partner in Zentralasien ist. Selbst das Öl, das Kasachstan nun an Deutschland liefere, fließe durch russisches Staatsgebiet. Für eine Änderung dieser Verhältnisse müsste der Westen alternative Handelswege und Transportrouten ausarbeiten, so der Experte. (dpa/fn)