1. 24hamburg
  2. Politik

Erstmals seit Beginn des Ukraine-Kriegs: Selenskyj telefoniert mit Chinas Staatschef Xi Jinping

Erstellt:

Von: Christiane Kühl, Sven Hauberg

Kommentare

Xi Jinping und Wolodymyr Selenskyj
Xi Jinping und Wolodymyr Selenskyj sprachen am Mittwoch miteinander. © Imago (Montage)

Seit Kriegsbeginn wartete der ukrainische Präsident Selenskyj auf ein Gespräch mit Xi Jinping. Nun griff Chinas Staats- und Parteichef zum Hörer.

München/Peking/Kiew – Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj haben erstmals seit Beginn des Ukraine-Kriegs miteinander telefoniert. Das gaben beide Seiten am Mittwoch bekannt. Selenskyj verkündete zudem, dass ein neuer Botschafter für China ernannt worden sei. Er glaube, dass beides „der Entwicklung unserer bilateralen Beziehungen einen starken Impuls verleihen werden“, so Selenskyj auf Twitter – und zwar auch auf Chinesisch. China wiederum wolle einen Sonderbeauftragten für eurasische Angelegenheiten zu Gesprächen in die Ukraine entsenden, sagte Xi Jinping. Auch humanitäre Hilfe will China nach Kiew schicken.

Xi Jinping bezeichnete den Krieg in dem Telefonat als „Ukraine-Krise“, wie China es seit Beginn der Invasion im Februar 2022 tut. Diese „Krise“ könne nur durch „Dialog und Verhandlungen“ beendet werden, sagte Xi laut chinesischem Außenministerium zu Selenskyj. „Die gegenseitige Achtung der Souveränität und territorialen Integrität ist die politische Grundlage der Beziehungen zwischen China und der Ukraine“, so Xi weiter. Peking werde sich auf die Förderung von Friedensgesprächen konzentrieren und sich so schnell wie möglich um einen Waffenstillstand bemühen.

Aus Kiew wurden zunächst keine weiteren Details zu dem Gespräch aus Sicht der Ukraine bekannt.

Chinas Xi dankt Selenskyj für Hilfe bei Ukraine-Evakuierung

Auch aus Peking verlautet bislang nichts Überraschendes. Kritik an Russland vermied Xi demnach in dem Gespräch, auch fehlt in der Stellungnahme jede Forderung nach einem möglichen Abzug der russischen Truppen aus der Ukraine. Stattdessen verwies Xi auf den Zwölf-Punkte-Plan zur Lösung der „Krise“ in der Ukraine, den China Anfang des Jahres vorgelegt hatte. Vor allem im Westen wurde der Plan als substanzlos und wenig hilfreich verworfen; auch die Ukraine hatte auf den Plan skeptisch reagiert.

Falls Xi in dem Gespräch mit Selenskyj auch konkretere Dinge zu sagen hatte, so blieb das zunächst unbekannt. Immerhin dankte Xi Selenskyj für die „große Unterstützung bei der Evakuierung chinesischer Bürger im vergangenen Jahr“. China hatte erst mehrere Tage nach Beginn des russischen Angriffskriegs mit einer Evakuierungsmission begonnen. Ende Februar 2022 hielten sich staatlichen Angaben zufolge rund 6.000 chinesische Staatsbürger in der Ukraine auf, darunter viele Studierende.

Chinas Außenministerium: Selenskyj preist Erfolge Chinas

Selenskyj drängte seit Kriegsbeginn auf direkten Kontakt zu Xi, lange Zeit ohne irgendeine Resonanz. Anfang April hatte Xi dann erstmals angedeutet, dass er bereit sei, mit Selenskyj zu sprechen. Informationen zu den Aussagen Selenskyjs in dem Telefonat gibt es bislang nur aus dem Außenministerium in Peking. Demnach beglückwünschte Selenskyj Xi Jinping zu seiner dritten Ernennung als Staatspräsident im März 2023, würdigte die außerordentlichen Leistungen Chinas und zeigte sich überzeugt, dass China unter Xis Führung die verschiedenen Herausforderungen erfolgreich meistern und weiter voranschreiten werde.

Telefoniert hatte Selenskyj mit Xi zuletzt 2021 – und China in jener fern erscheinenden Vorkriegszeit als „Handels- und Wirtschaftspartner Nummer eins der Ukraine“ gepriesen. Er hoffe, dass die Ukraine „eine Brücke nach Europa für chinesische Unternehmen“ werde.

Von 2019 bis zur Invasion war China der größte Handelspartner der Ukraine, noch vor Russland. Die Volksrepublik war nach einer Studie der US-Denkfabrik Council of Foreign Relations der größte Abnehmer ukrainischer Waffen gewesen, die Ukraine umgekehrt nach Russland zudem der zweitgrößte Waffenlieferant Chinas. Das alles opferte China der strategischen Entscheidung, Putin die Treue zu halten. In Kiew nahm zuletzt der Unmut über Chinas pro-russische „Neutralität“ spürbar zu. „Die Position Chinas wird für uns immer weniger akzeptabel“, sagte Vize-Außenminister Andrij Melnyk im Frühjahr auf einer Veranstaltung. „Wir müssen eine neue Strategie für die Beziehungen zu Peking vorbereiten.“

China will „kein Öl ins Feuer“ gießen, sagt Xi Jinping

Als Mitglied des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen werde China „kein Öl ins Feuer gießen“, sagte Xi nun zu Selenskyj – ein Vorwurf, den Peking seit Beginn des Krieges regelmäßig den USA und der Nato macht. Offenbar mit Bezug auf die russischen Drohungen, den Krieg nuklear zu eskalieren, sagte Xi: „In einem Atomkrieg gibt es keinen Gewinner. Beim Umgang mit der Nuklearfrage sollten alle betroffenen Parteien ruhig und zurückhaltend bleiben und die Zukunft und das Schicksal ihrer selbst und der Menschheit als Ganzes im Auge behalten.“ Das zumindest dürfte Kiew beruhigen. Solange Xi sich immer wieder gegen den Einsatz von Atomwaffen stellt, dürfte das für Putin kaum eine Option sein.

Doch Vertreter Pekings sorgen auch immer wieder für Unruhe. Vor wenigen Tagen hatte Chinas Botschafter in Frankreich, Lu Shaye, in einem kontrovers diskutierten TV-Interview die Souveränität der Ukraine und der anderen Ex-Sowjetstaaten infrage gestellt. Chinas Außenministerium bemühte sich darauf hin, Lus Äußerungen zu relativieren: Peking erkenne selbstverständlich die Souveränität dieser Staaten an, hieß es.

Im Ukraine-Krieg gibt sich China neutral

China betont stets, dass es aufgrund seiner neutralen Haltung in dem Konflikt ein geeigneter Vermitter sei. Tatsächlich aber suchte Peking immer wieder die Nähe zu Russland. So telefonierten Xi Jinping und Wladimir Putin in den vergangenen Monaten regelmäßig. Auch persönlich trafen sich die beiden Präsidenten im März im Kreml. Auf Gesprächsangebote aus Kiew war Xi bis zu dem Telefonat mit Selenskyj am Mittwoch bislang nicht eingegangen; auch einen Besuch in Kiew lehnt Xi bislang ab. Ob das Telefonat daran etwas ändert ist ungewiss.

China macht für die Eskalation des Konflikts vor allem die USA und die Nato verantwortlich. Den völkerrechtswidrigen russischen Einmarsch und die Kriegsverbrechen, die Russlands Soldaten in der Ukraine begangen haben, hat China bis heute nicht verurteilt. Seit vergangenen Jahr importiert die Volksrepublik Rohstoffe wie Öl und Gas zu deutlich vergünstigten Preisen aus Russland, auch Chinas Exporte in sein Nachbarland wuchsen zuletzt deutlich. Behauptungen der USA, China überlege, auch Waffen an Russland zu liefern, wurden bislang allerdings nicht belegt.

Das russische Außenministerium teilte in einem kurzen Statement mit, man sehe an dem Telefonat, dass Peking bereit sei, sich für Verhandlungen einzusetzen. Bislang hatte Moskau auch Peking gegenüber wenig Interesse an Gesprächen mit Kiew erkennen lassen.

Der seit 14 Monaten andauernde Krieg in der Ukraine ist an einem Wendepunkt angelangt. Kiew bereitet eine Gegenoffensive vor, die in den kommenden Wochen beginnen könnte. Die russische Winteroffensive hatte Moskau trotz der bisher blutigsten Kämpfe des Krieges nur geringe Geländegewinne eingebracht.

Auch interessant

Kommentare