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HSV-Nicht-Aufstieg: Ein Drama, das schmerzt – aber kein Beinbruch ist

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Von: Jan Knötzsch

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Zum vierten Mal ist der Aufstieg misslungen. Der HSV geht in sein fünftes Zweitliga-Jahr. Klingt nach Super-GAU. Aber ist es der auch? Ein Kommentar.

Hamburg – Journalisten sind Wortakrobaten. Schon von Haus aus. Schließlich müssen sie all das, was auf der Welt so passiert, in Worte kleiden. Im Idealfall verständlich, treffend, emotional mitreißend. Bisweilen auch überspitzt, mal bissig. Und mit Haltung. Kaum ein Thema vereint vieles von dem so vielfältig auf sich wie der Fußball. Und hier speziell eben der Hamburger SV. Mit dem macht man als Journalist einiges mit, bekommt immer wieder viel Angriffsfläche geboten. Als Schreiber muss man sich nie Gedanken machen, dass einem der Stoff ausgeht. Sehr wohl aber darüber Gedanken machen, was man wie sagt. Beziehungsweise schreibt.

Nun wäre es sicher ein Einfaches, nach der 0:2-Niederlage des HSV im Relegations-Rückspiel gegen Hertha BSC Berlin den Stab über der Mannschaft von HSV-Trainer Tim Walter zu brechen. Worte gäbe es dafür genug. Vom Ausruf „Mein Gott, Walter“ in Anlehnung an ein Lied von Sänger Mike Krüger über – enorm überspitzt – das Wortspiel „Tims Trümmerhaufen“ bis hin zu einer langen Abhandlung, was in dieser Saison beim HSV, der an einem französischen Talent interessiert sein soll, alles falsch gelaufen ist.

Aber wäre das richtig? Wäre es nicht zu einfach, wieder draufzuhauen, wie man es beim HSV ja fast schon reflexartig tut?

Fußballverein:Hamburger SV
Gegründet:29. September 1887 in Hamburg
Vereinsfarben:Blau-Weiß-Schwarz
Mitglieder:86.971

HSV verspielt in der Relegation gegen Hertha den Bundesliga-Aufstieg – darum lohnt sich ein genauer Blick

Die Antworten lauten „ja“. Und „nein“. Nein, es wäre nicht richtig, auch nach dem jetzt vierten misslungenen Anlauf, in die Bundesliga zurückzukehren, wieder einmal einen Kübel mit Spott und Häme über der Mannschaft um Sonny Kittel, Daniel Heuer Fernandes, Robert Glatzel oder aber HSV-Kapitän Sebastian Schonlau auszuleeren, der jüngst versprochen hatte, der HSV werde „nie aufgeben“ – schon gar nicht in der Relegation gegen Hertha BSC Berlin. Und ja, es wäre zu einfach, an dieser Stelle erneut draufzuhauen, weil man das ja immer getan hat, wenn der HSV, bei dem es Transfergerüchte um einen Bundesliga-Spieler gibt, mal wieder etwas nicht geschafft hat. Diesmal ist die Sache allerdings viel tiefgründiger. Vielschichtiger. Es lohnt nicht nur der oberflächliche Blick. Sondern ein zweiter, ein dritter, ein genauer.

Im Hintergrund werden die HSV-Spieler trotz der Niederlage gegen Hertha BSV gefeiert´. Im Vordergrund der enttäuschte HSV-Trainer Tm Walter.
Ein Bild, das mehr sagt, als tausend Worte: HSV-Trainer Tim Walter (links) ist nach dem verpassten Bundesliga-Aufstieg konsterniert, dennoch feiern die HSV-Fans den Coach und die Mannschaft. (24hamburg.de-Montage) © Michael Schwarz/imago

Dafür zuerst eine Reise in die Vergangenheit des HSV, der möglicherweise den Vertrag von Mikkel Kaufmann verlängern wird. Und zwar zurück zum Amtsantritt von Trainer Tim Walter, in dessen Kader noch nicht klar ist, wie die HSV-Zukunft von Josha Vagnoman aussieht, der schon vor Wochen bekundet haben soll, beim Nicht-Aufstieg wechseln zu wollen. Tim Walter hat vor der Saison nie vom Aufstieg gesprochen – genau genommen hat der HSV-Trainer das bis fast zum Ende der Spielzeit nicht getan. Ein wohlwollendes Understatement. Stattdessen sprach Walter davon, immer jedes Spiel gewinnen zu wollen. Klar, eine Floskel. Aber mit einer ehrenvollen Absicht dahinter.

HSV-Trainer Tim Walter und sein Team scheitern in der Relegation – sie haben trotz Nicht-Aufstieg viel richtig gemacht

Dass HSV-Trainer Tim Walter bis fast zuletzt nicht vom Aufstieg hat reden wollen, hat seinen Grund. Walter mag zwar ein Lautsprecher sein, der gerne mal verbal im TV mit Experten wie Ex-HSV-Spieler Martin Harnik aneinander rasselt, aber er ist nicht blöd. Vorm Beginn der jetzt mit dem Nicht-Aufstieg beendeten Saison verließen veritable Kicker wie Torwart Sven Ulreich, Routinier Aaron Hunt oder Top-Torjäger Simon Terodde den Verein. Herbe Verluste. Dazu verabschiedeten sich auch „Säulenspieler“ wie Toni Leistner, der sich kritisch über HSV-Coach Walter äußerte, und Klaus Gjasula. Die Zugänge waren dazu im Vergleich wenig namhaft. Weil es Sportvorstand Jonas Boldt und Sportdirektor Michael Mutzel am nötigen (Klein-)Geld mangelt.

Vorzeichen also, bei denen es gewagt – ja vielleicht sogar töricht – gewesen wäre, den Aufstieg ganz offensiv als Ziel des HSV auszurufen, der zudem auch das jüngste Team der Liga stellte. Dass eine solche Mannschaft in der langen Saison ihre Rückschläge erleiden würde – logisch. Dass eine solche Mannschaft nicht sofort aus einem Tief herauskommen würde – ebenso logisch. Zumindest für den, der es realistisch betrachtet und nicht den Ansprüchen früherer Tage hinterherrennt, wie sie in der Hansestadt Hamburg bestens bekannt sind. Bekannt und eine schwere Last. Klug also von HSV-Trainer Tim Walter, sie seinem Team nicht wissentlich aufzuladen. Wer über die erste Saison des Trainers beim HSV spricht, der muss den Fokus auf etwas anderes lenken – im positiven Sinne. Trotz des Scheiterns in der Relegation gegen Hertha BSC.

Wieder ein HSV-Nicht-Aufstieg: Erneut schmerzhafte Erfahrung – aber Teil eines Weges, der längst nicht beendet ist

Denn auch, wenn sich der Traum von der Bundesliga wieder einmal nicht erfüllt hat, so hat Tim Walter dem HSV etwas anderes gegeben: ein Gesicht, eine Vision, eine Einheit. Eine Art und Weise des Fußballspielens, die die HSV-Fans mögen. Mit der sie sich – ebenso wie mit dem Team – identifizieren. Der HSV, bei dem Vieles in der Vergangenheit immer nur ein Stückwerk war, das von schnell austauschbaren Menschen getragen wurde, hat sich unter Walter und Jonas Boldt, der ruhig und besonnen an seinem Trainer und dem eingeschlagenen Weg festhält, eine (neue) Identität erarbeitet. Dass die HSV-Fans nach der verlorenen Partie gegen Hertha BSC im Volksparkstadion den Schulterschluss mit dem Team suchten, selbiges feierten und auch Tim Walter bejubelten – es spricht zum einen für sich. Und zum anderen Bände.

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So eine Identifikation – nach außen wirkt sie inniger und ehrlicher als in den vergangenen Jahren – kann manchmal mehr als ein Titel oder ein Aufstieg wert sein. Dass so ein Zusammenwachsen – sowohl sportlich betrachtet auf dem Platz als eben auch zwischen Anhang und Spielern – manchmal länger dauert, ist Teil eines Prozesses. Dass dann am Ende die Zeit fehlt, in der Saison die nötigen Punkte für den direkten Aufstieg zu holen oder aber so weit gewachsen zu sein, dass das Team auch im entscheidenden Moment funktioniert – das muss einkalkuliert sein. Insofern ist der Nicht-Aufstieg sportlich betrachtet ein Drama – weil der HSV den Vorsprung aus der Hand gegeben hat.

Aber er ist kein Beinbruch. Weil der HSV auf dem richtigen Weg ist, Einem, der über kurz oder lang in Erfolg münden wird. Ruhe und Kontinuität haben sich bislang immer ausgezahlt. Wenn auch nicht immer sofort. Beispiele gibt es genug. Das „Wir-Gefühl“ wird helfen. Und schließlich heißt es ja nicht umsonst: Gut Ding will Weile haben. Im Falle des HSV dann eben noch eine weitere Saison. Der Volkspark-Klub wäre nicht der erste, der nach einer bitteren Niederlage noch stärker wieder zurückkommt ...

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