Messerattacke Brokstedt spielt rechter Szene in die Karten – „Gefahr für Demokratie“
Die Messerattacke Brokstedt erschüttert die Menschen deutschlandweit. Gleichzeitig wird die Gewalt von der rechten Szene instrumentalisiert. Das ist gefährlich.
Hamburg – Mohammed, Ibrahim oder Hassan – tragen Gewalttäter einen arabischen Vor- und Nachnamen, ist das Futter für die rechte Szene in Deutschland, auch in Hamburg. Auch die Messerattacke in Brokstedt durch Ibrahim A. ist Kanonenfutter für Ausländerfeindlichkeit des Milieus – und nicht genug: Es schafft neue politische Anhänger. Das ist problematisch, aus verschiedenen Gründen.
Name: | Brokstedt |
Fläche: | 12,62 km² |
Bevölkerung: | 2.154 (31. Dez. 2008) |
Bürgermeister: | Clemens Preine |
Messerattacke Brokstedt spielt rechter Szene in die Karten: Wütende Kommentare auf Facebook
„Sehr geehrte Bundesregierung, [... ] warum schützen Sie Deutschland nicht vor solchen Bestien?“, beginnt ein Facebook-Nutzer seinen offenen Hass-Brief an die deutsche Bundesregierung. Jedem Leser ist sofort klar, wen der Verfasser meint, denn zuvor zählt er stichpunkthaft Straftäter mit Migrationshintergrund auf.
Vermeintlich staatenloser Palästinenser saß sechs Tage vor Messerattacke in U-Haft
Unter ihnen auch Ibrahim A., der im Januar 2023 in einem Regionalzug von Kiel nach Hamburg zwei Menschen ermordete und fünf weitere verletzte. Etliche Fahrgäste mussten die brutale Messerattacke mit ansehen. Wenige Minuten nach dem Angriff wurde der vermeintlich staatenlosen Palästinenser, der erst sechs Tage zuvor aus der U-Haft entlassen wurde und ein langes Strafregister hatte, auf dem Bahnsteig Brokstedt, Kreis Steinburg, von der Polizei festgenommen.
Extremismus bereits in der Jugend erkennen
In der Zeit des Heranwachsens sei es eine Entwicklungsaufgabe, sich von der Welt der Erwachsenen abzulösen und Grenzen auszuloten, so Extremismus-Expertin Verena Fabris (Leitung Beratungsstelle Extremismus, Nationale No Hate Speech Koordinatorin). Ob es sich um jugendliches Protestverhalten handelt oder Radikalisierung, müsse immer im Einzelfall beurteilt werden. „Eltern sollten aufmerksam werden, wenn ihre Kinder plötzlich Lebensstil und Freundeskreis wechseln, wenn sie keine Kritik mehr zulassen und sich zunehmend verschließen“, erklärt Fabris. Deutlichere Anzeichen seien das Hören einschlägiger Musik, das Besuchen entsprechender Accounts im Internet oder menschenverachtende Äußerungen. Hilfe finden Eltern bei Beratungsstellen; in Deutschland zum Beispiel bei der Beratungsstelle Radikalisierung, in Österreich bei der Beratungsstelle Extremismus.
Der Vorwurf: zweifach heimtückischer Mord und vierfach versuchter Totschlag. Nur kurze Zeit später ist klar: Der 33-jährige Täter hätte abgeschoben und somit die Tat verhindert werden können. Das geht aus einer Meldung der Deutschen Presse-Agentur (dpa) hervor. „Wir wissen inzwischen, dass es eine Fehlinformation gab“, sagte Innenministerin Nancy Faeser während einer Pressekonferenz. Die Behörden seien gescheitert. Das habe Konsequenzen, wie 24hamburg.de berichtete.
Nutzer in den sozialen Medien entsetzt und fassungslos über Behörden-„Wahnsinn“
Der Hass-Brief des Facebook-Nutzers ist eine von vielen fassungslosen Stimmen in den sozialen Medien, voller Entsetzen über den „Wahnsinn“ deutscher Behörden, die den zuvor inhaftierten Täter trotz U-Haft wieder freiließen sowie die schrecklichen Geschehnisse. Im Zentrum aller Emotionen wird aber eines deutlich: Ausländerfeindlichkeit und Antipathie gegenüber der Migrationspolitik.
Studien zeigen: Alternative für Deutschland (AfD) gewinnt an Zuwachs
Auch der Verfasser des Hass-Briefes findet es legitim, wenn durch diese – aus seiner Sicht – Häufung „solcher Fälle, die Alternative für Deutschland (AfD) immer mehr Wähler bekommt“. Ein Zulauf lässt sich tatsächlich nicht von der Hand weisen: Mehrere Umfragen, wie die Yougov-Studie, INSA oder Forsa, zeigen, dass die rechts angesiedelte Partei AfD heute bis zu 7 Prozent mehr Zustimmung von deutschen Wählern bekommen könnte als 2021, damals 10,3 Prozent, wenn Bundestagswahl wäre.
Expertin: „Rechtsextreme Gruppierungen instrumentalisieren Straftaten von Migranten“
Für die österreichische Extremismus-Expertin Verena Fabris ist dieser Wahl-Trend plausibel. Sie äußert gegenüber 24hamburg.de: „Rechtsextreme Gruppierungen instrumentalisieren Straftaten von Migranten und Migrantinnen für ihre eigene Agenda.“ Fälle wie jene Messerattacke bei Hamburg werden von ihnen als Propaganda gegen Migration missbraucht, um Vorurteile gegenüber Muslimen zu schüren.
- Der 33-jährige Ibrahim A. wurde Anfang des vergangenen Jahres in Hamburg festgenommen
- Am 18. Januar 2022 soll er unter Alkohol- und Drogeneinfluss vor einer Diakonie-Aufenthaltsstelle für Obdachlose einen Mann geschlagen, mit einem Klappmesser schwer verletzt und anschließend in einem Aldi-Markt Lebensmittel gestohlen haben
- Am 22. Januar 2022 erließ das Amtsgericht Hamburg den Haftbefehl
- Er befand bis zu seinem Prozess am Amtsgericht Hamburg St. Georg, am 18. August 2022, in der Untersuchungshaftanstalt Billwerder
- Wegen gefährlicher Körperverletzung und Diebstahls wurde Ibrahim A. zu einem Jahr und einer Woche Haft ohne Bewährung verurteilt
- Er legte Bewährung ein, blieb aber in U-Haft
- Als das Gericht am 19. Januar 2023 den Haftbefehl aufhob, saß Ibrahim A. ohne rechtskräftiges Urteil insgesamt 363 Tage
- Sechs Tage später stieg er in den Regionalexpress Richtung Hamburg
- (Quelle: stern.de)
Es stecke ein psychologisches Phänomen dahinter, dass diese Wut-Propaganda bei Wählern Anklang findet: Eine Tat werde nicht einem Individuum zugeschrieben, sondern einer ganzen Personengruppe. Getreu dem Motto: „Die sind alle so.“ Umgekehrt werden Mitglieder der eigenen, zugehörigen Gruppe als Individuen erkannt und deren Straftaten somit als Einzeltat verbucht, so Fabris.
Gängiges politisches Mittel: Positive Gruppen-Ereignisse auf das eigene Konto verbuchen
Genau andersherum sei es bei positiven Ereignissen: „Wenn die deutsche Fußballmannschaft die Weltmeisterschaft gewinnt, sind wir alle Weltmeister.“ Aktuelle Geschehnisse nach eigenen Gunsten auszulegen, ist in der Politik ein gängiges Mittel, um neue Wähler zu gewinnen. Auch die AfD macht sich diese psychologische Taktik zunutze und fördert so radikale Ansichten.
Messerattacke Brokstedt: Objektivität und Ratio fehlen – Ausländerfeindlichkeit entsteht
Nicht umsonst steht die Partei auf der Agenda des Verfassungsschutzes. Dass Objektivität und die eigene Ratio bei brutalen Gewalttaten, wie im Fall von Ibrahim A., den Bürgern schwerfällt, ist beim Blick in die sozialen Medien offensichtlich. Dass dadurch generalisierte Ausländerfeindseligkeit entsteht, auch. Nachvollziehbar ist nur ersteres.

Nüchtern betrachtet zeigt die Statistik des Bundeskriminalamts: 7,1 Prozent aller in Deutschland registrierten Tatverdächtigen (2021) waren zugewandert. Die Zahl ist rückläufig. Das bedeutet nicht, dass die Emotionen der Mitfühlenden unbegründet sind, aber sie bedürfen einer Einordnung.
Messerattacke in Brokstedt: Solche Einzelfälle erschweren Integration Unschuldiger
Nach Informationen unseres Medienhauses aus anonymer Quelle wirken sich Einzelfälle, wie die Messerattacke in Brokstedt, sehr negativ auf die Integration Geflüchteter aus, besonders in den Dörfern. Das Problem sei, dass Behörden vor Ort zu wenig kommunizieren, was Ängste schüre und Ansichten verhärten könne, zulasten Unschuldiger.
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Extremismus-Expertin: Radikalisierung, ob politisch oder religiös, ist eine Gefahr für die Demokratie
Radikalisierung – egal, ob politisch oder religiös – könne laut Extremismus-Expertin Fabris „immer zu Gewalt führen“. Diese sei nämlich ein Mittel zur Umsetzung der extremen Ziele, zeitgleich aber auch eine Missachtung von Menschenrechten und somit eine Gefahr für die Demokratie und deren Grundpfeiler.