1. 24hamburg
  2. Hamburg

Koloniales Erbe: Ohlsdorfer Straßen sollen umbenannt werden – „Woermannsweg wird ausradiert“

Erstellt:

Von: Dagmar Schlenz

Kommentare

Der Regionalausschuss hat die Umbenennung einiger Straßen im Hamburger Stadtteil Ohlsdorf beschlossen. Bei vielen Anwohnern stößt dieses Vorhaben auf Kritik.

Hamburg – Neue Adresse, ohne die Wohnung zu wechseln? Das steht gerade vielen Anwohnern im Hamburger Stadtteil Ohlsdorf bevor, denn ihre Straßen sollen umbenannt werden. Das hat der Regionalausschuss des Bezirkes Nord beschlossen – offenbar ohne die Anwohnerinnen und Anwohner in ihre Entscheidung einzubeziehen. Viele von ihnen sind nicht begeistert von der Entscheidung der Politiker, die mit ihrer Aktion kolonial belastete Straßennamen aus dem Stadtbild in Hamburg tilgen wollen.

Stadtteil:Hamburg Ohlsdorf
Einwohner:16.949 (Stand Dezember 2021)
Postleitzahlen:22309, 22335, 22337, 22391
Von Umbennung betroffene Straßen:Woermannsweg, Woermannstieg, Justus-Strandes-Weg

Umgang mit kolonialem Erbe in Hamburg: Straßen in Ohlsdorf sollen umbenannt werden

Bereits 2019 war man sich in Ohlsdorf einig: einstimmig hatte damals der Regionalausschuss Nord die Umbenennung der Straßen Woermannsweg, Woermannstieg und Justus-Strandes-Weg beschlossen. Auslöser für diese Entscheidung war eine kritische Auseinandersetzung mit dem kolonialen Erbe in Ohlsdorf, bei dem unter anderem Straßennamen unter die Lupe genommen wurden. Dabei stieß man auf Straßen, die nach Adolph Woermann (1847–1911) und Justus Strandes (1859–1930) benannt wurden.

Wir wollen keine öffentliche Ehrung von Menschen, die am Kolonialismus verdient haben.

Nadja Grichisch (Die Grünen) im Interview mit dem NDR

Der Hamburger Reeder, Plantagenbesitzer und Kaufmann Adolph Woermann profitierte an Truppen- und Waffenexporten. Außerdem war der ehemalige Reichstagsabgeordnete maßgeblich am Völkermord an den Herero und Nama im heutigen Namibia sowie an Versklavung und Landraub beteiligt. Der Kaufmann Justus Strandes war Senator in der Hansestadt Hamburg und hat bei der Errichtung der deutschen Kolonie in Deutsch-Ostafrika mitgewirkt. „Wir wollen keine öffentliche Ehrung von Menschen, die am Kolonialismus verdient haben“, begründet Grünen-Politikerin Nadja Grichisch im Interview mit dem NDR die Entscheidung.

Ein Haus im Kolonialstil und ein schwarz-weiß-Bild von einem älteren Mann. In Hamburg sollen kolonial belastete Straßennamen wie der Woermannsweg aus dem Stadtbild verschwinden.
Adolph Woermann und das Woermannhaus in Namibia: In Hamburg sollen kolonial belastete Straßennamen wie der Woermannsweg aus dem Stadtbild verschwinden. (24hamburg-Montage) © imago

„Woermannsweg wird ausradiert“: Hamburger CDU spricht von „Politik-Wahnsinn“

Während sich Politikerinnen und Politiker von SPD, FDP, Linken und den Grünen einig sind, die Umbenennung durchzuführen, hält die CDU Hamburg-Nord dagegen. Martina Lütjens (CDU) von der Bezirksfraktion Nord spricht von einem „Politik-Wahnsinn“. Die Grünen würden im Bezirk Nord zusammen mit der SPD lieber auf Ausradierung statt auf Aufarbeitung setzen, so eine Pressemitteilung der CDU.

Während das Afrikahaus in der Hamburger Innenstadt in der neuen mobilen App „Koloniale Orte“ mit zahlreichen Erläuterungen aufgeführt sei, würden die Straßennamen in Fuhlsbüttel ausgetilgt. „Wir wünschen uns eine Aufklärung, die keinesfalls ein Herunterspielen von historischen Ereignissen bedeutet, sondern viel mehr, dass man bewusster und kritischer mit Vergangenheit und Gegenwart umgeht.“, so Lütjens weiter.

Anwohner sind aufgebracht über Umbenennung von Straßen in Ohlsdorf

Während anderswo im Norden skurrile Straßennamen wie der „Robbenschlägerweg“ an alte Traditionen erinnern, sollen die kolonial belasteten Straßennamen in Ohlsdorf jetzt weichen. Um den Beschluss in die Tat umzusetzen, müssen allerdings im Bezirk zunächst Namensalternativen beschlossen werden. Dazu fand am 17. April 2023 in der St. Marien Kirche zu Ohlsdorf eine Sondersitzung des Regionalausschusses Nord statt. Doch die Meinungen der Anwohner zu der Umbenennung sind gespalten. Manche finden es „gar nicht so schlecht“, es sei an der Zeit, auch mal Dinge zu hinterfragen.

Die Vergangenheit kann man nicht auslöschen, in dem man ein Straßenschild ersetzt.

Anwohnerin im Gespräch mit dem NDR

Andere wollen gar nicht, dass ihre Straße umbenannt wird. „Die Vergangenheit kann man nicht auslöschen, in dem man ein Straßenschild ersetzt“, äußert sich eine Dame im Gespräch mit dem NDR. Ein anderer Anwohner findet die Argumentation „irgendwie komisch“, da in Namibia ja auch Straßen und Häuser nach Woermann benannt werden. Auch stößt die geplante Umbenennung auf Widerstand, weil dieser „bürokratische Akt“ mit unnötigen Kosten verbunden sei. Und tatsächlich müssen nicht nur ein paar Schilder ausgetauscht werden – auch auf die Anwohner kommt einiges zu.

Was Anwohner bei der Umbenennung ihrer Straße tun müssen

Dass einige Straßen in der Hansestadt ihren Namen ändern sollen, ist nichts Neues. Im Jahr 2022 wurde von einer Expertenkommission eine Liste mit Straßen in Hamburg vorgelegt, die aufgrund ihrer Nazi-Verbindung umbenannt werden sollen. Doch die Umbenennung einer Straße ist für die Anwohner mit einigem Aufwand verbunden. Wie bei einem Umzug müssen sie nicht nur Freunde und Verwandte über die Adressänderung informieren, sondern zum Beispiel auch den Arbeitgeber, Banken und Versicherungen.

Für Häuser und Wohnungen sind die Grundbucheintragungen anzupassen, außerdem sämtliche Papiere mit Adresseintrag, wie Personalausweis und Fahrzeugschein. Neue Visitenkarten und Adressaufkleber müssen neu bestellt werden. Und dann wären da noch die zahlreichen Navigations-Apps: um deren Aktualisierung müssen sich die Anwohner zwar nicht selbst kümmern, doch mit Pech wird ihre Straße nach der Umbenennung nicht mehr gefunden – was zum Beispiel bei der Zustellung von Briefen und Paketen zu Problemen führen könnte.

Auch interessant

Kommentare