Hart erarbeitete Seltenheit: Der HVV und konstruktive Diskussionen auf Facebook
Was Online-Diskussionskultur angeht, ist Facebook ein hartes Pflaster. Doch der Hamburger Verkehrsverbund (HVV) traut sich – und profitiert genauso wie Fahrgäste.
Hamburg – Wer Social Media als Form des Austausches skeptisch gegenüber steht, wird eine Plattform wahrscheinlich schon aufgegeben haben: eine gesittete Diskussion auf Facebook? Unmöglich. Doch Skeptikern könnte es helfen, einen Blick auf den Facebook-Auftritt des Hamburger Verkehrsverbundes (HVV) zu werfen. Denn dort werden selbst die großen Streitthemen Mobilität und Verkehrswende konstruktiv debattiert. Eine Diskussionskultur, die sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Social-Media-Team hart erarbeitet haben – und von der jetzt sogar Fahrgäste profitieren.
Unternehmen: | Hamburger Verkehrsverbund |
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Gründung: | 29. November 1965 |
CEO: | Dietrich Hartmann (2011–) |
Unternehmensform: | Gesellschaft mit beschränkter Haftung |
HVV auf Facebook: Gesittete Diskussion rund um Ottensens preisgekröntes Mobilitätskonzept
Ottensen geht voran. Im wahrsten Sinne des Wortes. Schon seit 2019 basteln Bürger und Verwaltung in dem Stadtteil in Altona an dem Ziel, das Quartier „autoarm“ zu gestalten. Im Rahmen der Kampagnen „Ottensen macht Platz“ und „freiRaum Ottensen“ soll der stehende und fließende Autoverkehr langfristig reduziert und den Fußgängern und Radfahrenden mehr Platz eingeräumt werden. Dafür gab es Mitte März sogar eine Auszeichnung der Hans-Sauer-Stiftung in München – das Mobilitätskonzept hatte sich dafür gegen über 50 andere Projekte durchgesetzt.
Doch ob Auszeichnung oder nicht, viele Autofahrer sind dagegen. Sie sehen hier einen besorgniserregenden Trend, fürchten Einschränkungen – und teilen aus. Doch genau diese Menschen lädt die Social-Media-Abteilung des HVV regelmäßig zum Diskurs ein. Und das mit überraschendem Erfolg, wie das aktuelle Diskussions-Beispiel rund um „Shared Space“-Konzepte wie in Ottensen zeigt:
Problemthema Auto: Emotionale Beiträge auch beim Online-Diskurs des HVV
Klar, die wütenden oder unverschämten Beiträge finden sich auch hier. Nutzer Stef vermutet direkt wirre Verhältnisse wie auf Straßen in Indien und Timbuktu, setzt das Wort Verkehrswende in Anführungszeichen und wirft dem HVV politische Machenschaften vor. Nutzerin Ingrid bügelt mit dem Argument Hektik und Todesfällen eine Diskussion direkt ab. Beide kriegen trotzdem Antworten vom HVV-Account.
Das passt bei der Arbeit der Social-Media-Redakteure vom HVV ins Bild – war aber auch gelerntes Verhalten. Zum Auftakt der Aktivitäten im Herbst 2021 sah sich das Redaktionsteam im Community Management nämlich noch „einer kritischen und streckenweise auch sehr unkonstruktiven Diskussionskultur gegenübergestellt“, formuliert es Pressesprecherin Constanze Dinse gegenüber 24hamburg.de vorsichtig.
Durch eine aktive und engmaschige Moderation konnte die Community aber stetig in Richtung eines konstruktiven Austausches auf Augenhöhe entwickelt werden.
Das künstliche Ruhigstellen der Nutzer durch Löschung oder Sperrung war dabei immer nur Notfalllösung und kam nur „punktuell bei schwerwiegenden Verstößen gegen die Netiquette zum Einsatz“. Zweieinhalb Jahre trägt der beinahe pädagogische Ansatz des Teams Früchte. Man freue sich mittlerweile über eine „überwiegend konstruktive, wenngleich kritische Diskussionskultur“, sagt Dinse.
HVV und die weitergeleitete Frage: „Was bewegt dich?“

Auch Ingrid wird nach ihrem eigentlichen Totschlagargument noch ein Diskussionsangebot unterbreitet. Ob es dann vielleicht ganz ohne Autos funktionieren würde, wenn die geteilte Nutzung schon kaum Aussichten auf Erfolg hätten. In ihrem zweiten Beitrag wirkt die Diskussionsteilnehmerin dann auch direkt weniger angriffslustig: Für viele sei sowas schwer umzusetzen, sagt Ingrid. Sie führt Erreichbarkeit und Frequenz der „Öffis“ an, auch mit Einkäufen oder für eingeschränkte Personen würden eventuelle Probleme entstehen – legitime Argumente.
So lesen sich dann auch die meisten der über hundert Kommentare, die innerhalb weniger Tage abgegeben wurden. Es wird über Mentalität und Kultur gesprochen, es gibt Anhänger des autofreien Ansatzes – aber auch viele, die dagegen argumentieren.
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Bekehren wolle man sowieso niemanden. Bei der Arbeit gehe es im Einklang mit dem HVV-Motto „Was bewegt dich?“ darum, „Menschen einerseits möglichst in ihrer Lebenswirklichkeit abzuholen und andererseits immer wieder auch ihren Blick für neue Perspektiven und Ansätze der Mobilität zu öffnen“, wie Sprecherin Dinse unterstreicht.
Vernünftiges Feedback aus den Sozialen Medien führt zu Optimierungen für Fahrgäste
Davon profitieren jetzt nicht nur die Mitarbeitenden der Social-Media-Redaktion des HVV, die sich nach einem Diskussionsaufruf wohl nicht (mehr) durch seitenlange Nonsens-Kommentare und Beleidigungen quälen müssen. Denn mit konkreten und konstruktiven Repliken können im besten Fall alle Verkehrsunternehmen im HVV etwas anfangen – und am Ende profitiert wieder der Fahrgast. Wie etwa zuletzt beim monatelangen Schienenersatzverkehr von U2 und U4. Dort wurde „Feedback […] direkt mit dem Projektteam geteilt und mündete ganz konkret auch in einer Optimierung“ unterstreicht Constanze Dinse.

Immer klappt das natürlich nicht. Dass der HVV in Eigenregie in der ganzen Hansestadt autofreie Zonen errichtet? Unwahrscheinlich. Dafür sind an der Verkehrswende eben doch zu viele Personen und Entscheidungsträger beteiligt. Dennoch: Der Dialog im Social Web liefere laufend Anstöße für den Verbund und seine Verkehrsunternehmen. Vielleicht ist Social Media ja doch noch zu retten …