Dicke Luft im Klassenzimmer: Ärger um Luftfilter in Hamburger Schulen
Aktuell haben 21.000 Luftfilter in Hamburger Schulen Sommerpause – und sind zum Teil passwortgeschützt gegen das Einschalten, wie eine wütende Lehrerin berichtet.
Hamburg – Nicht selten fühlt sich das Frustablassen auf Twitter an, als würde man ins unendliche Nichts schreien. Doch manchmal trifft man genau dort einen Nerv – und es kommt einiges zurück. Eine Grundschullehrerin aus Hamburg beschwerte sich am Dienstag, 30. August, auf der Social-Media-Plattform über den schicken Luftfilter, der zwar in ihrem Klassenzimmer steht und potenzielle Hilfe gegen herumfliegende Coronaviren darstellt, allerdings nicht in Betrieb ist!
Ein Passwortschutz sorgt zudem dafür, dass das auch wirklich so bleibt. Über 4100 Nutzer drückten seitdem auf den Gefällt-Mir-Knopf, über 800 verbreiteten den Tweet, über 200 Nutzer kommentierten und beteiligten sich an der Empörung.
Name: | Behörde für Schule und Berufsbildung |
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Leitung: | Ties Rabe (SPD) |
Sitz: | Hamburger Straße 31, 22083 Hamburg |
Haushaltsvolumen: | 2,686 Milliarden Euro (Stand: 2019) |
Corona in Hamburger Schulen: Luftfilter sind in der „Sommerpause“
Die Frustration liest man aus dem Tweet förmlich raus. „Da steht er! Der #Luftreiniger in meinem Klassenzimmer in #Hamburg und schweigt. Er könnte Viren, Allergene und Staub aus der Luft filtern. Tut er aber nicht, weil der @Senat_Hamburg beschlossen hat, die Geräte zu schonen. Warum @Senat_Hamburg? Warum nicht die Kinder schonen?“
Dass die Geräte geschont werden, das sind die eigenen Worte des hier adressierten Hamburger Senats. Anfang Juni, vier Wochen vor Ferienbeginn, ordnete die Behörde für Schule und Berufsbildung in einer Mitteilung an die Schulen, die 24hamburg.de vorliegt, eine „Sommerpause“ für die Luftfilter an: „Angesichts der warmen Jahreszeit, die längere und häufigere Lüftungszeiten ermöglicht, und aufgrund der deutlich verringerten Corona-Gefahren können die Luftfiltergeräte in den nächsten Wochen abgeschaltet werden“, heißt es darin.
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Die positiven Effekte dieser Abschaltungen seien zweierlei, wie die Behörde den Schulleitungen vorrechnete: „Bitte berücksichtigen Sie, dass wir dadurch nicht nur sehr große Mengen Energie einsparen, sondern auch die Geräte für eventuell künftige neue Einsätze schonen können.“ Abgesehen von der Sinnhaftigkeit, auf hilfreiche Instrumente aufgrund von Schonung zu verzichten, verblasst das Energiespar-Argument etwas, während gleichzeitig der Hamburger Hafen blau leuchtet.
Hamburger Senat: Stoßlüftung ist zu bevorzugen, fehlender Nachweis zur Luftfilter-Wirkung
Die Entscheidung, die Luftfilter nicht in Betrieb zu nehmen, sei letztlich Teil einer Kosten-Nutzen-Rechnung. Wie sehr man sich darüber aufregen möchte – oder sollte – liegt also vor allem an der Frage: Wie viel Nutzen geht von den mobilen Luftfiltergeräten aus? Der Senat bleibt hier zumindest einer Linie treu. Bereits Ende Juni schrieb man als Antwort auf eine schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Sabine Boeddinghaus (Die Linke): „Nach einschlägiger Fachmeinung ist die Stoß- beziehungsweise Querlüftung gegenüber dezentralen, mobilen Luftreinigungsgeräten zu bevorzugen. Die Möglichkeit der Stoß- beziehungsweise Querlüftung ist in nahezu allen Unterrichtsräumen gegeben.“

Auf 24hamburg.de-Anfrage bestätigt man nun diese Position: Zur Wirkung von mobilen Luftfiltergeräten gebe es nach wie vor keine eindeutigen Studien, so Schulbehörden-Sprecher Peter Albrecht. In der Hansestadt Hamburg seien die mobilen Luftfiltergeräte daher stets als zusätzliche Maßnahme aufgestellt worden, „alle anderen Maßnahmen (individueller Schutz durch FFP2-Masken, regelmäßiges Stoß- und Querlüften, Impfkampagne) sind demgegenüber prioritär.“ Ob eine Kombination von Lüften und Luftfiltern nicht auch im Sommer schon Sinn machen würde, blieb unbeantwortet.
Luftfilter in Hamburger Schulen: Vorhanden, aber ausgeschaltet – „Ist ein Unding“
Nachgehakt bei der Verfasserin des Ausgangstweets, kommt neben der offensichtlichen Portion Frust vor allem eins rüber: Wut darüber, dass Möglichkeiten zum Schutz für Lehrer und Schüler da sind, aber nicht genutzt werden. „Die Geräte filtern Viren, aber auch sonstige Allergene und Staub. Sie als präventive Maßnahme nicht zu nutzen, ist ein Unding“, sagt die Pädagogin, die anonym bleiben möchte, im Gespräch mit 24hamburg.de. Die Geräte in ihrer Schule sind mit einem Hochleistungsfilter der Klasse H14 ausgestattet – der laut Klassifizierungstabelle 99,995 Prozent der Mikropartikel aus der Luft filtert.
Sie stört sich daran, dass in der Schulbehörde bezüglich des Corona-Schutzes scheinbar nur in schwarzweiß gedacht wird: entweder Normalbetrieb, oder Krisenmodus. Sie fragt sich: „Warum muss es erst wieder vermehrt zu Infektionen kommen?“ Man habe „vor allem in Grundschulen“ nach dem neuen Infektionsschutzgesetz keine verfügbaren Schutzmaßnahmen für Kollegium und Kinder mehr.
Unterrichtsausfall und Betreuung auf dem Schulhof: „Unfassbar viele Kinder und Kolleginnen krank“
Außerdem scheint ihr das Kontrollsystem, das dann wirklich gefährliche Situationen kategorisiert, nicht ganz klar. „Was ist der Maßstab? Welche Inzidenz? Wie viele Kinder oder LehrerInnen müssen erkranken?“ Ein Misstrauen, das offensichtlich nicht unbegründet ist, sondern auf traurigen Erfahrungswerten beruht.
„Vor den Ferien (nach Fallenlassen der Schutzmaßnahmen wie Masken, Tests und Luftfilter) waren unfassbar viele Kinder und Kolleginnen krank, es ist Unterricht ausgefallen, es gab viel Großgruppenbetreuung auf dem Schulhof. Einzelne Klassen mussten bereits zu Hause bleiben“, berichtet die Lehrkraft von Notsituationen in einer Zeit, in der laut der damaligen Mitteilung der Schulbehörde „allein die Maskenpflicht in Bussen und Bahnen […] noch an Corona“ erinnere.
Ich verstehe nicht, warum man es so weit kommen lassen muss.
Hamburger Schulbehörde bestimmt: Infektionsgeschehen gibt (noch) keinen Anlass
Peter Albrecht, Pressesprecher der Schulbehörde, unterstreicht gegenüber 24hamburg.de die Ausrichtung am Ist-Zustand: „Die mobilen Luftfiltergeräte sind noch nicht aktiviert worden, weil das aktuelle Infektionsgeschehen dazu (noch) keinen Anlass gibt und bei den aktuellen Außentemperaturen das verpflichtende regelmäßige Stoß- und Querlüften sehr gut umgesetzt werden kann und zudem wirkungsvoller ist.“
Bis sich das ändert, bleiben die Passwörter für die Geräte fest in den Händen des Senats – Einzelgänge ausgeschlossen. „Die Schulbehörde entscheidet zentral, in Abstimmung mit der fachlich zuständigen Gesundheitsbehörde, wann die Luftfiltergeräte wieder aktiviert werden. Ausschlaggebend sind dafür die Wetterbedingungen und die allgemeine Infektionsentwicklung“, erklärt Albrecht das Vorgehen der Behörde, die unter der Leitung von Senator Ties Rabe (SPD) steht, der Corona-bedingte Schulschließungen unlängst als „Wahnsinn“ bezeichnet hatte.
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Schon in der bereits erwähnten Antwort an die Hamburgische Bürgerschaft Ende Juni machte der Senat deutlich, dass das keineswegs willkürliches Handeln ist, das auf diesem bestimmten Schlachtfeld der Corona-Pandemie an den Tag gelegt wird: Der Senat richte seit Beginn seine Sicherheitsmaßnahmen „an den jeweiligen rechtlichen Grundlagen, insbesondere dem Infektionsschutzgesetz, den wissenschaftlichen Empfehlungen des RKI sowie den Beschlüssen von Fachministerkonferenzen und der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten mit der Bundeskanzlerin beziehungsweise dem Bundeskanzler aus.“
Frieren vorprogrammiert? Stoßlüften im Winter bei gedrosselter Heizung
Die wütende Pädagogin bleibt skeptisch. Klar, das Befolgen der Lüftungsregel – alle 20 Minuten für fünf Minuten und in den Pausen die Fenster weit öffnen – sei aktuell „noch gut möglich“. Doch die Erinnerung an die vergangenen kalten Jahreszeiten treiben ihr den Schauer über den Rücken.
„Wir haben die vergangenen zwei Winter in stark unterkühlten Räumen gesessen und gefroren – obwohl die Heizungen auf Volllast liefen“, erinnert sie sich. Und jetzt, inmitten der Gaskrise? „Keine Ahnung, wie es im kommenden Winter bei gedrosselter Heizung werden soll …“ Die Hoffnung ist, dass dann die zusätzliche Maßnahme Luftfilter, die zur Verfügung steht, auch tatsächlich genutzt wird.