Weil kranke Frau zum Klo musste: Rentner sollte 357 Euro zahlen
Das Corona-Kontaktformular wurde einem Rentnerehepaar aus Hamburg fast zum Verhängnis. Es drohte ein sattes Corona-Bußgeld. Jetzt landete der Fall vor Gericht.
Hamburg – „Wir haben alles gegen Corona getan: Abstand eingehalten, Maske getragen, viermal geimpft: und dann haben Sie uns trotzdem auf dem Kieker!“: Der Rentner aus Hamburg-Harburg ist immer noch aufgebracht, als er am Dienstag im Gerichtssaal des Hamburger Amtsgerichts von dem Vorfall im Sommer 2021 berichtet. Der Fall sorgte bundesweit für Aufsehen: Ein fieser Beamter wollte dem Rentner-Paar 357 Euro Corona-Bußgeld abknöpfen.
Damals war der 86-Jährige zusammen mit seiner Ehefrau zu Gast in einer Bäckerei in Harburg. Die beiden sind dort Stammgäste, kommen dreimal die Woche, am Mittwoch gibt es immer Schnitzel. Immer hatte der Rentner für sich und seine Frau, die im Rollstuhl sitzt und an Demenz leidet, das Corona-Kontaktformular ausgefüllt. Aber diesmal musste seine Frau dringend auf die Toilette – und da hat er es vergessen. Ausgerechnet an diesem Tag kam ein Kontrolleur des Bezirksamtes, um zu überprüfen, ob die Corona-Regeln in der Bäckerei auch eingehalten werden. Es drohte ein Corona-Bußgeld.
Verstoß: | Strafe: |
Rechtsverordnung zum Infektionsschutz missachtet | bis zu 2.500 Euro |
Verstoß gegen die Aufzeichnungs- und Meldepflicht | bis zu 25.000 Euro |
wiederholter Verstoß gegen das Kontaktverbot\t | ab 200 Euro |
Corona-Bußgeld: „Der Prozess ist eine Schande für Hamburg“
Der Kontrolleur des Bezirksamtes stellte fest, dass in dem Kästchen, in dem die Bäckerei die Kontaktformulare der Gäste aufbewahrt, kein Formular der Rentner zu finden war. Das lag wohl noch auf der Theke, wie sich später bei einer Zeugenbefragung eines Mitarbeiters herausstellte. Eine Verkäuferin hatte es für die beiden Stammgäste ausgefüllt, aber nur den Namen eingetragen und nicht die Adresse. Der Kontrolleur akzeptierte das unvollständig ausgefüllte Kontaktformular nicht und verhängte stattdessen Bußgeldbescheide in Höhe von jeweils 178,50 Euro, zusammen 357 Euro. Ein vermeintlich kleiner Betrag – doch insgesamt nahm Hamburg 7,6 Millionen Euro Corona-Bußgelder ein.
Dagegen wehrten sich die beiden Rentner und legten Einspruch ein. Hilfe bekamen sie dabei von dem ehemaligen CDU-Bezirksabgeordneten Bernd Kroll, der die Beiden auch zum Prozess am Dienstag begleitete. „Der Prozess ist eine Schande für Hamburg“, sagte Kroll vor Beginn des Prozesses. „Die Justiz ist vollkommen überlastet und dann werden Kapazitäten zur Verfügung gestellt, um solche Verfahren zu machen“, stellte er entrüstet fest. Die beiden seien hochbetagte Bürger, die Frau schwerbehindert und dement. Das hätte auch der Ordnungsdienst erkennen müssen. „Man kann einen betagten Ehemann nicht genauso behandeln wie einen 30-Jährigen, der Party macht.“

Corona-Bußgeld: Richter kritisiert Regelung für Kontaktformular
Das sah der Richter am Amtsgericht wohl ähnlich. Auf jeden Fall sprach er den 86-jährigen Ehemann am Dienstag frei. Das Verfahren gegen seine 87-jährige Ehefrau soll wegen ihres Gesundheitszustandes eingestellt werden. Dem muss die Staatsanwaltschaft aber noch zustimmen. „Ich kann nicht feststellen, dass sie sich schuldhaft verhalten haben“, sagte der Richter. Das Corona-Bußgeld soll nicht fällig werden. Die Corona-Regeln und deren Einhaltung seien wichtig. Der Gesetzgeber habe aber vergessen, festzulegen, wann genau das Kontaktformular auszufüllen sei. Die beiden Rentner, die an dem Tag draußen in einem Strandkorb saßen, hätten das Kontaktformular auch später noch ausfüllen können. Viele Bürger stellten sich die Frage: Soll ich Nachbarn verpetzen?
„Ich muss ehrlich sagen, gerechnet habe ich nicht damit“, sagte der Rentner nach der Verhandlung erleichtert. „Aber der Richter war gut. Da konnte man nicht meckern“, meinte der 86-Jährige. Es würde auch viele nette Beamte geben. „Aber dieser war nicht nett. Er wollte sogar, dass ich mich von meiner Frau wegsetze und zwei Meter Abstand einhalte. Da habe ich zu ihm gesagt: „Die bleibt hier sitzen. Wir passen vor Corona schon selber auf.“ Manchmal würden die alten Menschen in Deutschland wie kleine Kinder behandelt. „Aber das lassen wir uns nicht gefallen!“ Er werde jetzt auf jeden Fall weiterhin gemeinsam mit seiner Ehefrau die Bäckerei besuchen. (DPA)