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„Fiel niemandem auf“: Hamburger Politiker hält von ChatGPT geschriebene Rede – keiner merkt es!

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Von: Ulrike Hagen

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Diese Rede schreibt Hamburger Geschichte. Ein Bürgerschaftsabgeordneter ließ sie nämlich von dem Chatbot ChatGPT verfassen. Eine echte Zäsur. Und ein spannendes Experiment.

Hamburg – Es ist die am schnellsten wachsende Webanwendung aller Zeiten. Im Januar hat ChatGPT die Grenze von 100 Millionen Nutzerinnen und Nutzern überschritten – nach gerade einmal zwei Monaten auf dem Markt. Das meldet CBS News unter Berufung auf Studien der UBS. Inzwischen greifen demnach 13 Millionen User täglich auf die App zurück.

Einer von ihnen: Der Hamburger Bürgerschaftsabgeordnete Hansjörg Schmidt (SPD). Er hielt im Februar im Landesparlament eine Rede, die von dem auf künstlicher Intelligenz (KI) basierenden Sprachmodell geschrieben wurde. Eine echte Zäsur. Und ein spannendes Experiment. 24hamburg.de sprach mit dem Politiker über die denkwürdige Erfahrung.

Chatbot:ChatGPT
Entwickler:Pen AI
Veröffentlichung:30. November 2022
Nutzer:100 Millionen (Januar 2023)

Hamburger Bürgerschaftsabgeordneter lässt Rede von Computer schreiben – und keiner merkt‘s!

Der ChatGPT-Hype greift in einem schwindelerregenden Tempo um sich. Und zieht galoppierend auch in die Berufswelten ein: Erste Firmen suchen „Flüsterer“ für Künstliche Intelligenz mit ChatGPT und Co. Selbst das Bildungssystem wird gründlich durchgerüttelt, denn ChatGPT stellt als KI-Programm Lehrer vor eine riesige Herausforderung. Wozu das Programm inzwischen in der Lage ist, wollte also nun auch der Hamburger SPD-Abgeordnete demonstrieren, nachdem er als Softwareunternehmer „bereits eine Weile mit der Anwendung herumgespielt“ hatte.

Forschungslabor «Leap in Time Lab»
Die Software ChatGPT kann komplexe Texte verfassen. © Frank Rumpenhorst (dpa)

ChatGPT: Künstliche Intelligenz schrieb Rede für Bürgerschaft

Die künstliche Intelligenz schrieb die Rede für den Wirtschaftspolitischen Sprecher der SPD-Bürgerschaftsfraktion. Thema: „Förderung und Unterstützung von nachhaltigen Sozialunternehmen und sozial-innovativen Neugründungen in Hamburg“. Die Überraschung: Der fünfminütige Vortrag von Schmidt klingt wie eine ganz normale Rede – inklusive gewisser Längen, vieler Fakten, einiger typischen Phrasen und Eigenlob für die Arbeit der Hamburger Landesregierung.

ChatGPT von OpenAI: Was ist das?

ChatGPT ist ein Chatbot, der auf der Basis künstlicher Intelligenz (KI) beruht. Er wurde von dem US-amerikanischen Unternehmen OpenAI in San Francisco/Kalifornien entwickelt und Ende November 2022 veröffentlicht. Hinter OpenAI steht eine Non-Profit-Organisation, die KI als „Open Source“ kostenlos zur Verfügung stellt, überwiegend finanziert von Microsoft und Elon Musk. 

OpenAI ist eine Künstliche Intelligenz, die auf Prompts, also bestimmte Fragen oder Vorgaben, eine KI-generierte Antwort ausspuckt.

Ziel von OpenAI ist, künstliche Intelligenz auf Open-Source-Basis auf eine Art und Weise zu entwickeln und zu vermarkten, „dass sie der Gesellschaft Vorteile bringt und nicht schadet“.

Zugang zu der Anwendung bekommt man über chat.openai.com/auth/login. Die Registrierung auch mittels eines Google- oder Microsoft-Kontos möglich.

Politiker lässt ChatGPT Rede schreiben: „Fiel niemandem auf“

„Es fiel niemandem auf, dass der Text zu großen Teilen von Künstlicher Intelligenz generiert wurde“, so Schmidt gegenüber 24hamburg.de. Im Gegenteil. Auf der Aufzeichnung ist zu hören, dass die Rede mit begeistertem Applaus goutiert wurde.

Fazit des SPD-Politikers: „Mittelgutes Ergebnis“ – nur KI reicht nicht

Nachdem der Hamburger Politiker über seinen KI-Coup twitterte, fragte Jens Matheuszik, Genosse und Ratsmitglied der SPD aus Bochum dann auch gleich nach: „Hast du mal den konkreten Prompt parat?“. „Prompt“ nennt sich die eingegebene Frage oder Vorgabe zur Erstellung eines Textes des Chatbots. Schmidt gab zu, dass er ChatGPT mit einem „ziemlichen Riemen“ fütterte. „Und das Ergebnis war, ehrlich gesagt, trotzdem mittelgut“, so der Abgeordnete zu 24hamburg.de. „Hätte ich keine Ahnung gehabt, hätte auch ziemlicher Blödsinn dabei herauskommen können.“ Auch habe der Chatbot statt der geforderten 500–600 Worte lediglich 250 Worte ausgespuckt.

„Erhöhte Produktivität“: Politiker wird auch zukünftig KI in Anspruch nehmen

Dennoch: „Die Hälfte der Rede war von mir, die andere Hälfte vom Bot“, erklärt Schmidt. Sein Fazit: „Das Tool kann die Produktivität deutlich erhöhen.“ Dementsprechend wird er auch in Zukunft auf die Dienste der KI zurückgreifen, „um damit mehr Zeit zu gewinnen für andere Projekte im Dienste der Bürgerschaft“. Die wird sich daran wohl nicht stören: Keiner der Abgeordneten hat auf die Erklärung, dass bei der Rede ein Chatbot im Spiel war, negativ reagiert.

Ich möchte nicht in einer Welt leben, in der der Gesetzgeber entscheidet, was entwickelt werden darf und was nicht.

Hansjörg Schmidt, Wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD-Bürgerschaftsfraktion

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„Kann jeden verstehen, der eine gewisse Skepsis hat“

Auf die Frage, ob man Angst haben müsse, dass die Verbreitung des Tools ChatGPT des vom Europäischen Parlament angestrebten Gesetzes zur Regulierung von KI-Einsätzen „AI-Act“ überhole, meint der Abgeordnete: „Ich kann jeden verstehen, der eine gewisse Skepsis hat. Aber wir haben auch 20 Jahre diskutiert, ob Mobilfunk gefährlich ist“. Er ergänzt: „Ich möchte nicht in einer Welt leben, in der der Gesetzgeber entscheidet, was entwickelt werden darf und was nicht“.

 Wir haben auch 20 Jahre darüber diskutiert, ob Mobilfunk gefährlich ist.

Hansjörg Schmidt, Hamburger Bürgerschaftsabgeordneter

Dennoch räumt der SPD-Mann und Inhaber einer Softwarefirma ein, dass „entscheidend ist, dass man versteht, woher die Daten kommen. Denn Künstliche Intelligenz kann auch sogenannte Biased Algorithmen entwickeln, also Vorurteile über die entsprechend eingespeisten Daten lernen und als Ergebnis ausspucken.“ Um solche Risiken in den Griff zu bekommen, könne er sich vorstellen, dass es in Zukunft „eine Agentur, die das überwacht“ geben werde. Das beträfe dann die neue Microsoft-KI von OpenAI, die „Mächtiger als ChatGPT“ werden soll, ebenso wie die KI Bard, mit der Google ChatGPT den Kampf ansagt.

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