Karl May Festspiele: Reflektieren, modifizieren, aber nicht abschaffen
Die beliebten Karl May Festspiele sehen sich dem Vorwurf der kulturellen Aneignung ausgesetzt. Sollte die Veranstaltung darum abgeschafft werden? Ein Kommentar.
Bad Segeberg – Nach Kritik im Internet hat der Ravensburger Verlag Bücher und Produkte zum Start des Kinofilms „Der junge Häuptling Winnetou“ zurückgezogen. Der Verlag teilte mit, „Gefühle anderer verletzt“ und „einen Fehler gemacht“ zu haben. Nicht nur dem aktuellen Winnetou-Film, auch anderen Veröffentlichungen Karl Mays wird seit einigen Jahren vorgeworfen, rassistische Stereotypen zu reproduzieren. Diese hätten ihren Ursprung im Kolonialismus. Ravensburger schritt nun ein und nahm die Produkte wieder vom Markt.
Name: | Karl May (Carl Friedrich May) |
Geboren: | 25. Februar 1842, Hohenstein-Ernstthal |
Gestorben: | 30. März 1912, Radebeul |
Bekannt für: | Winnetou, Old Shurehand u.a. |
Gesamtauflage: | geschätzt 200 Millionen weltweit |
Winnetou & Co: Sollten die Karl May Spiele verboten werden?
Dass die von Karl May verfassten Abenteuer nicht annähernd die damalige Realität widerspiegeln, ist unstrittig. Das mag weniger an dem Umstand liegen, dass der Sachse Karl May Zeit seines Lebens nie einen Fuß in die Gebiete gesetzt hat, in denen er seine Reiseerzählungen ansiedelte – dazu zählten auch die Winnetou und Old Surehand-Bände. May ist nie in Nordamerika gewesen, nie in Mexiko, in Kurdistan, im Irak oder im Sudan, Orte anderer Erzählungen des Autors. Die einseitige, und auch verfälschte Darstellung der Lebenswelt nicht weißer Charaktere im Werk des Abenteuer-Schriftstellers – in den Winnetou-Bänden also der indigen Bevölkerung Nordamerikas – muss nicht nur im zeitlichen Kontext gesehen werden, in dem nicht nur die Debatten andere waren.
Die Wahl der zu erzählenden Geschichte, des Blickwinkels, der Charaktere und Erzählweise sind jedem Schriftsteller und jeder Schriftstellerin frei gestellt. Karl May hat sich für seine Geschichten und seine Art der Erzählung entschieden – das kann ihm heute schwerlich vorgeworfen werden. Um eine bewusste kulturelle Aneignung, im Englischen „cultural appropriation“, wird es ihm nicht gegangen sein.
Kritischer Blick auf kulturelle Aneignung: Keine Frage der Wokeness
Seit dem Tod Karl Mays im Jahre 1912 sind mehr als hundert Jahre vergangen. Jahre, in denen sich die Gesellschaft weiter entwickelt hat, wir alle neue Perspektiven aufgezeigt bekommen haben, sensibilisiert sein sollten für die Themen und Ansichten anderer. Allen voran Minderheiten. Das liegt nicht an dem, was heutzutage abfällig als „woker“ Zeitgeist verspottet wird oder durch unverbesserliche Hansa Rostock-Fans ins Stadion getragen, wie zuletzt Auswärts gegen St. Pauli geschehen.

Also einem vermeintlichen Meinungsdiktat einer kleinen, linken Minderheit, die der Mehrheit sagt, was diese zu tun und lassen habe, wofür sie sich schämen müsse, was sie essen dürfe und wie sie sich auszudrücken haben. Ein kritischer Blick auf die Zustände ist keine Frage der Wokeness. Ein kritischer Blick ist notwendig, ein Akt des Humanismus – und sollte selbstverständlich sein.
Diskussionen um Winnetou und kulturelle Aneignung: Kampf für uns alle
Der veränderte Zeitgeist ist ein hart erkämpfter Erfolg der schwarzen Bürgerrechtsbewegung, des LGBTQ-Movements, der Frauenbewegung, der ‘68er und all den anderen, die in den vergangenen Jahrzehnten für die Rechte, für die Sichtbarkeit, für die Lobby derer gekämpft haben, die bisher rechtlos und ungehört waren.
Der Kampf für die Freiheit des einen ist keineswegs der Kampf für die Abschaffung der Freiheit des anderen. Es ist ein Kampf gegen Unrecht und je tiefergehender, umfassender, struktureller das Problem, desto mehr ist dieser Kampf auch ein Kampf für die Gesellschaft, für eine bessere Gesellschaft, nicht nur für die Minderheiten, sondern auch für die sich bedroht fühlende Mehrheit. Ein Kampf von Minderheiten für sich ist also ein Kampf der Minderheiten für uns alle. Ein Kampf gegen Minderheiten hingegen ist, in erster Linie, ein Kampf der Mehrheit für sich selbst. Das sollte nicht vergessen werden.
Karl May-Festspiele zeigen Winnetou: Sollten die Freilichtspiele verboten werden?
Sollte man Karl May nun verbieten? Nein, sollte man nicht. Eine 180-Grad-Wende in einer Problematik wie der, der kulturellen Aneignung, wäre gesellschaftlich nicht nur schwer vermittelbar und würde die bestehenden Gräben zwischen Befürwortern – hier des Werkes Karl Mays und dessen öffentlicher Aufführung – und Gegnern nur noch vertiefen. (Eine partielle Abkehr von bestimmten Elementen schließt das jedoch nicht aus – müssen sich Darsteller indigener Völker 2022 wirklich noch das Gesicht rot anmalen („Redfacing“) oder lässt sich doch eine andere Lösung finden?)
Ein Verbot würde auch den Wunsch der Kritiker Gehör und Respekt für die eigenen Ansichten zu gewinnen, dadurch konterkarieren, dass selbiges Andersdenkende genommen werden würde. Vor allem jedoch ist ein Verbot schlicht nicht notwendig, um diese Debatte zu einem für beide Seiten positiven Ende zu führen. Die wichtigste Grundvoraussetzung dafür ist die Bereitschaft, einander zuzuhören und die Legitimation der anderslautenden Wünsche, Bedürfnisse und die Gründe dafür anzuerkennen.
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Allzu oft ist gerade die notwendige Sensibilität für die Thematik in den Kommentarspalten auf Social Media nicht zu erkennen. Man sollte sich also nach Möglichkeit unvoreingenommenen gegenübertreten oder zumindest offen für das Gegenüber und damit auch einem Perspektivwechsel und einem Fehlereingeständnis sein. Für ein gegenseitiges Zuhören plädiert auch der ehemalige stellvertretende Feuilletonchef der „Berliner Zeitung“ und Autor (Die Zeit, Deutschlandfunk Kultur, Rolling Stone, Radioeins u.a.) Jens Balzer in seinem aktuellen Buch „Ethik der Appropriation“.
Ähnlich wie bei den Büchern um Winnetou, gab es auch um die Lieder: „Drei Chinesen mit dem Kontrabass“ und „Wer hat die Kokosnuss geklaut“ Diskussionen, weil sie rassistisch sein sollen. Ebenfalls Rassismus-Vorwürfe ausgesetzt, sahen sich Hawaii-Pizza und Toast Hawaii. Daher sollen sie umbenannt werden
Karl May-Festspiele und Winnetou: Ein Lösungsvorschlag
Eine Lösung für die Aufführungen der Werke Karl Mays, die nicht nur in Bad Segeberg, sondern an vielen Orten Deutschlands stattfinden, könnte etwa die Einbindung indigener Menschen in die Veranstaltung sein. Auch in Deutschland gibt es Interessengruppen. Wenn auch nur wenige Mitglieder (oder Nachfahren) indigener Völker Nord-, Mittel- oder Südamerikas in Deutschland leben. Für deren Interessen setzt sich unter anderem der Verein „Native American Association of Germany“ (NAAoG) ein.
Durch die Einbeziehung indigener Menschen ließe sich ein Kompromiss erarbeiten, der die Gefühle indigener Menschen auf der einen Seite, auf der anderen Seite die Tradition von Karl May und die Bedeutung seines Werkes für viele Menschen hierzulande berücksichtigt.
Statt eine Veranstaltung zu verbieten, sollte man deren Thematik in die Gegenwart transferieren und beleuchten. Das ginge zum Beispiel mit einem ergänzenden Begleitprogramm, in dem über die andere, in den Werken und Stücken nicht gezeigte Seite aufgeklärt wird. Nicht wertend, sensibilisiert, respektvoll. (Kevin Goonewardena)